Fachprofil
Das Fachgebiet ist durch die Verknüpfung kriminologischer Konzepte mit einer interdisziplinär verstandenen Kriminalprävention charakterisiert, für die neben der Polizei weitere Akteurinnen und Akteure bedeutsam sind. Parallel zu gesellschaftlichen Transformationsprozessen verändert sich die Kriminalität qualitativ und quantitativ. Die deutschen Polizeien müssen darauf national wie im Verbund mit ihren internationalen Partnerorganisationen effizient und effektiv reagieren. Maßnahmen der Kriminalitätskontrolle setzen Annahmen über Ursachen und Bedingungsfaktoren voraus. Hier leistet die Kriminologie wesentliche Beiträge zu einer wissenschaftlich gestützten Planung der Kriminalitätskontrolle.
Bezüge zu einer verwaltungswissenschaftlich verstandenen Polizeiwissenschaft bestehen u.a. insoweit, als polizeiliche Daten zur registrierten Kriminalität eine bedeutsame Basis empirischer kriminologischer Forschung darstellen. Insbesondere bei sogenannten Kontrolldelikten werden polizeiliche Filter- und Selektionsprozesse für kriminologische Analysen interessant. Ein Schwerpunkt praxisorientierter Kriminologie liegt auf Formen und Konsequenzen polizeilichen Handelns im Umgang mit Tatverdächtigen und Opfern, da hier u.a. Anhaltspunkte für präventive Ansätze begründet sind. Die Polizei ist die wichtigste Organisation im Bereich der Kriminalprävention; dementsprechend richtet sich das Interesse der fachgebietsbezogenen Arbeit auch auf Leitbilder, Selbstverständnisse und Handlungsroutinen der Polizei im Kontext präventiver Arbeitsfelder.
Lehre
Die Ausrichtung des Faches Kriminologie an der DHPol löst sich von den Fragestellungen des Einzelfalls und den Bedürfnissen der sachbearbeitenden Ebene und bietet Entscheidungshilfen für die kriminologische Analyse und polizeiliche Bewältigung von strategischen Herausforderungen. An der DHPol wird eine anwendungsorientierte und praxisrelevante Kriminologie für polizeiliche Führungskräfte vermittelt. Hierbei werden die Aspekte einer interdisziplinären Kriminalprävention besonders betont. Die Ausrichtung kriminologischer Themen auf die Bedürfnisse polizeilicher Führungskräfte sowie die enge Verzahnung mit Fragen der Kriminalprävention charakterisieren die besondere Stellung des Fachgebiets im Vergleich mit kriminologischen Lehrstühlen an öffentlichen Universitäten.
Die inhaltlichen Schwerpunkte der Lehre liegen in den Feldern der Vermittlung kriminologischer Konzepte und Theorien als Basis einer strategischen Kriminalitätskontrolle, kriminologischer und kriminalgeografischer Aspekte polizeilicher Lageanalysen, der gesamtgesellschaftlichen Kriminalprävention und ihrer Ansätze, Modelle und Umsetzungsstrategien sowie kriminologischer Aspekte spezifischer Phänomenbereiche (u.a. Jugendkriminalität, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Organisierte Kriminalität, Cybercrime, Gewaltdelikte im sozialen Nahraum).
Ziel der Lehre in der Kriminologie ist die Vermittlung der Fähigkeit zur Nutzung kriminologischer Erkenntnisse bei strategischen Gesamtkonzepten. Hierzu gehören die Analyse kriminalpolitischer Fragestellungen und die Nutzung kriminologischer Instrumentarien zur Problemanalyse. Ebenso wird der Zielgruppe für zukünftige strategische Planungen die Kompetenz vermittelt, interdisziplinäre Ansätze der gesamtgesellschaftlichen Kriminalprävention zu kennen, zu bewerten, in eigene strategische Planungsprozesse einzubeziehen und sich aktiv in derartige Prozesse einzubringen.
Die Betreuung von Masterarbeiten stellt einen Arbeitsschwerpunkt des Fachgebiets dar. Die betreuten Arbeiten gehen thematisch auf Schwerpunktsetzungen der Studierenden zurück, sind mit Forschungsaktivitäten des Fachgebiets verknüpft oder erwachsen aus Forschungskooperationen.
Fortbildung
Im Rahmen der Fortbildungsangebote der DHPol führt das Fachgebiet regelmäßig mehrtägige Seminare zu für polizeiliche Führungskräfte relevanten Themenkomplexen durch, darunter Veranstaltungen zur Kriminalprävention, zur Kriminologie in der Polizei, zur Jugenddelinquenz, zur Gewaltkriminalität und zu den komplexen Bezügen zwischen Polizeidienst und Gewalt. Arbeitstagungen zu aktuellen Fragestellungen ergänzen das Angebot. Bei der Konzeption von Fortbildungsveranstaltungen steht der Wissenschafts-Praxis-Transfer im Vordergrund; sie verbinden wissenschaftliche Perspektiven mit Beiträgen aus der polizeilichen Praxis.
Forschung
Die Forschung am Fachgebiet wendet sich Phänomenen auf unterschiedlichen polizeilichen Arbeitsfeldern zu. Sie nimmt zugleich – dem Ansatz einer über rein polizeiliches Handeln hinausgehenden Konzeption von Kriminalprävention entsprechend – im Hinblick auf die in Betracht genommenen Akteure eine breite Perspektive ein. Am Fachgebiet werden Forschungsprojekte im Rahmen nationaler und europäischer Förderlinien der Sicherheitsforschung, darüber hinaus vor allem mit Unterstützung durch Bundes- und Landesministerien durchgeführt. Das Fachgebiet kooperiert in der Forschung eng mit Forschungseinrichtungen im In- und Ausland.
Thematisch gruppieren sich die Forschungsaktivitäten des Fachgebiets in den letzten Jahren sowie die aktuellen und in unmittelbarer Vorbereitung befindlichen Arbeiten vor allem um folgende Bereiche:
- Gewalt im sozialen Nahraum: Die für die polizeiliche Arbeit wesentliche kriminologische Erkenntnis, dass gravierende Gewaltereignisse sich in der Mehrzahl der Fälle nicht zwischen einander unbekannten Personen ereignen, sondern im Bereich enger sozialer Beziehungen lokalisiert sind, schlägt sich in der Forschungsarbeit am Fachgebiet nieder. Dies wird u.a. an mehreren von der Europäischen Kommission geförderten Projekten deutlich, die sich vor allem mit Viktimisierungen in Intimbeziehungen und dem polizeilichen und sonstigen institutionellen Umgang mit diesem Phänomenbereich befassen (aktuell u.a. die Projekte „Special Needs and Protection Orders" und „Improving Needs Assessment and Victims‘ Support in Domestic Violence Related Criminal Proceedings").
- Kriminalitäts- und Gewaltgefährdungen im höheren Lebensalter: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wendet das Fachgebiet sich – mit einem Schwerpunkt auf der Opferperspektive – kriminologischen Aspekten des höheren Lebensalters zu. In mehreren Projekten, u.a. der Studie „Sicherheitspotenziale im höheren Lebensalter" (Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), konnten Viktimisierungen und Bedrohungen älterer und hochaltriger Menschen analysiert und Perspektiven für die Prävention entwickelt werden. Dies betrifft nicht nur klassische Deliktsfelder wie die Eigentums- und Vermögenskriminalität, sondern auch etwa die komplexe Thematik der Misshandlung und Vernachlässigung pflegebedürftiger alter Menschen.
- Kriminalität und Gewalt im Jugend- und jungen Erwachsenenalter: Neben dem höheren Alter konstituiert auch das Jugendalter / junge Erwachsenenalter einen Schwerpunkt der Forschung im Fachgebiet. Im Rahmen national und international geförderter Projekte wurden und werden u.a. Entwicklungstrends der Jugendkriminalität in Deutschland, die Verbreitung von Jugenddelinquenz in verschiedenen Ländern und die dort praktizierten Ansätze der Prävention analysiert. Aktuell werden (im Rahmen des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekts „Tat- und Fallanalysen hoch expressiver zielgerichteter Gewalt") multiple Tö-tungsdelikte junger Täterinnen und Täter untersucht und mit anderen schwersten Gewaltphänomenen kontrastiert.
- Raumorientierte Kriminologie: In diesem noch recht jungen Forschungsfeld wird der Blick auf räumliche Erscheinungen der Kriminalität sowie den polizeilichen Umgang hiermit gerichtet. Zurzeit befinden sich Forschungsprojekte in der Konzeptionsphase, welche sich mit Wissenspraktiken der Polizei im Kontext der Identifizierung kriminalitätsbelasteter Räume beschäftigen.
- Handlungsansätze und Strategien der Kriminal- und Gewaltprävention: Dieser Bereich liegt gewissermaßen quer zu den phänomenologisch orientierten Schwerpunkten. In der Forschungsarbeit des Fachgebiets werden Präventionsansätze für unterschiedliche Deliktsfelder entwickelt (u.a. zur Vorbeugung von Vermögensdelikten an alten Menschen) und präventive Maßnahmen Dritter analysiert und wissenschaftlich begleitet (etwa im Bereich der Prävention von Raubstraftaten im Handel oder der präventiven polizeilichen Nutzung neuer Medien).
- Politischer Extremismus, Radikalisierungsprozesse und Perspektiven der Deradikalisierung: Aktuell wendet die Forschung im Fachgebiet sich verstärkt dem Themenfeld der extremistisch motivierten Gewalt und Fragen nach Radikalisierungsprozessen, den sie treibenden Faktoren und Möglichkeiten der Prävention und Intervention zu. Mehrere Projekte sind hierzu in der Startphase bzw. der konkreten Vorbereitung.
Die Forschungsschwerpunkte werden perspektivisch fortgeführt; in den genannten Bereichen sind weitere Projekte in der Planungs- und Konzeptionsphase.
Besonderheiten des Fachgebiets
Kennzeichnend für das Fachgebiet ist die enge Verknüpfung von Forschung, Fortbildung und Lehrtätigkeit. Das Fachgebiet ist durch Projekte, Kooperationen und Gremientätigkeiten mit relevanten Forschungseinrichtungen im Inland und im europäischen wie außereuropäischen Ausland verknüpft. Es erbringt vielfältige Dienstleistungen u.a. in Form von Vorträgen, Begutachtungen sowie der Mitwirkung in polizeilichen und sonstigen einschlägigen Gremien (aktuell u.a. im Beirat der Kriminologischen Zentralstelle und in der Kommission Polizeiliche Kriminalprävention).