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Phillip Marsell
Organisationen verlangen von ihren Mitgliedern regelmäßig Handlungen, für die keine oder kaum Eigenmotivation vorhanden ist. Selbst wenn den Mitgliedern ihre Arbeit Spaß macht, ist es doch höchst unwahrscheinlich, dass sie deshalb kontinuierlich, fünf Tage die Woche und acht Stunden am Tag, zu genau den Aufgaben motiviert sind, die im Rahmen ihrer Mitgliedschaft von ihnen erwartet werden. Insofern ist es zunächst einmal verwunderlich, dass Organisationen sich so beständig darin zeigen, ihre Mitgliedern immer wieder ausreichend motivieren zu können. Eine selbstverständlich klingende und daher oftmals unterschätzte Lösung für dieses Problem, sind laut Luhmann generalisierte Verpflichtungen und Teilnahmemotivationen (Luhmann 1995: 91). Im Tausch für die Anerkennung der formalen Erwartungen, erhält das Mitglied bestimmte Mitgliedschaftsvorteile — zumeist regelmäßige Lohnzahlungen. Wer hingegen die Regeln der formalen Organisation nicht mehr anerkennt, muss austreten (vgl. Luhmann 2005: 50). Natürlich wird es hin und wieder zu Kritik an Entscheidungen, Lästereien gegenüber den Führungskräften usw. kommen, eine ‚offene Rebellion‘ muss eine Organisation aber normalerweise nicht fürchten (vgl. Kieserling 2004: 15). Im Zweifel kann daher die Androhung des Entzuges der Mitgliedschaft, ein Mitglied dazu bewegen, seinen Pflichten nachzukommen (vgl. Schimank 2005: 36).
Damit ist aber zunächst einmal lediglich die Teilnahme- keine Leistungsmotivation sichergestellt. Im Zweifel macht das Mitglied nämlich nur genau so viel, wie von ihm verlangt werden kann; also ‚Dienst nach Vorschrift‘. Einer solchen Einstellung kann zwar mit überwach- und sanktionierbaren Konditionalprogrammen begegnet werden, die den Mitgliedern klare ‚wenn/dann‘ Vorgaben machen (Luhmann 2000: 263 ff). Diese Art der Steuerung wird im Rahmen einer ‚einfachen‘, personengebundenen Kontrolle durch Vorgesetzte aber nicht mehr umzusetzen sein. Gerade in großen Organisationen wie der Polizei wird dadurch ein immenser technischer (Gestaltung von Arbeitsprozessen) und bürokratischer (detaillierte Arbeitsvorschriften) Kontrollaufwand unverzichtbar (Munz 2005: 20). Davon abgesehen müssten solche Arbeitsprozesse weitestgehend von Ungewissheiten bereinigt sein, da die Bearbeitung jeder Ungewissheit wiederum auf das kooperative Wohlwollen der Mitglieder angewiesen ist: „Der Widerspruch der Strategie der direkten Kontrolle liegt darin, dass ihre eigentliche Zielvorstellung unerreichbar ist — die Organisation als reibungslos funktionierende Maschine. Denn Menschen sind keine Maschinen, und das Management kann das Bewusstsein von Arbeitern nicht ignorieren, weil es letztlich auf die Kooperation der Arbeiter angewiesen ist“ (Littler 1987, 36). Letztlich sind Konditionalprogramme für die Polizei – einer Organisation mit regelmäßigem Umweltkontakt – aber auch nur bedingt geeignet (Heisig 2005: 41). Man stelle sich vor, Polizisten würden sich beim Kontakt mit ihren Klienten auf wenn/dann Schemata beschränken! Das würde auf die meisten Bürger vermutlich zutiefst verstörend wirken. Fortwährender Kontakt mit einer nicht kontrollierbaren Umwelt erfordert flexible Mitarbeiter, was ja der wesentliche Grund für die Abschaffung des mittleren Dienstes in vielen Bundesländern war.
Natürlich kann die Organisation versuchen, die Leistungen selbst zu formalisieren — beispielsweise durch Zielvereinbarungen, Produktions-, Absatz-, oder Umsatzvorgaben. Eine solche Zweckprogrammierung, die lediglich ein Ziel, nicht aber einen Weg vorgibt, setzt bei ihrer Bearbeitung jedoch Kreativität und Engagement voraus, welche sich wiederum nicht per Anweisung sicherstellen lassen (Munz 2005: 15). Vor allem aber erzeugen derlei Steuerungsinstrumente zwangsläufig (negative) Folgeeffekte, wie beispielsweise falsch gesetzte Anreize oder kurzsichtige Zielerreichungsstrategien. Aufgrund ihrer öffentlichen Funktion sind solche Effekte für die Polizei besonders heikel. Beispielsweise wenn die Forderung bestimmter Aufklärungsquoten dazu führt, dass verhältnismäßig einfach aufzuklärenden Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten eine stärkere Beachtung zugemessen wird, als anderen. Denn natürlich wissen die meisten Mitglieder sehr genau, was von ihnen verlangt werden kann und was nicht, wo und wie ihre Arbeit kontrolliert wird und an welchen Stellen weniger genau hingesehen wird. Sie wissen, wie wenig sie tun müssen, um ihre Mitgliedschaft zu erhalten.
Auch Kollegialität kann auf Mitglieder einen starken, motivierenden Einfluss haben. Diese wird von Luhmann als ein soziales Verhältnis beschrieben, dass ausschließlich in formalen Organisationen vorkommt. Damit werden im Grunde die gegenseitigen Erwartungshaltungen unter Kollegen beschrieben — die sowohl einen formalen als auch einen informalen Bezugspunkt haben können (Luhmann 1995: 315). Der Vorteil für die Organisation besteht in der disziplinierenden Wirkung, die Mitglieder in Form bestimmter Verhaltenserwartungen — z.B. dem Unterbinden bestimmter Pflichtverletzungen — an andere Mitglieder richten. Da die Durchsetzung solcher Erwartungen zumeist außerhalb oder im Grenzbereich der formalen Ordnung stattfindet, wird die Organisation, hinsichtlich ihres Einsatzbedarfes an formalen Strafen oder dem Androhen von Kündigungen, entlastet (Kühl 2011: 43 f.). Stattdessen handeln die Mitglieder selbst als leistungspolitische Akteure, indem sie beispielsweise in Gruppengesprächen bestimmte Leistungsstandards definieren, sie die Arbeits- und Aufgabenerteilung untereinander organisieren oder Druck auf Kollegen ausüben (Menz 2009: 171). Je nachdem in welcher Form dieser Druck ausgeübt wird, kann er für die Organisation durchaus zum Problem werden. Spätestens beim Mobbing hätte es die Polizei mit einer dysfunktionalen Form der Durchsetzung von kollegialen Verhaltenserwartungen zu tun.
Eine aus Sicht der Organisation sehr entscheidende Motivationsform ist die Zweckidentifikation. Mitglieder sind motivierter, wenn sie sich mit dem Zweck bzw. den Zielen einer Organisation (z.B. ‚die besten Autos bauen’, ‚nah am Kunden sein‘ oder ‚Schutz der Regenwälder‘) identifizieren können. Da Zwecke neben ihrer motivierenden Wirkung auch die Phantasie und den Blick von Mitgliedern auf bestimmte Ziele und Aufgaben fokussieren (Kühl 2011: 56), können sie in Summe einer leistungssteigernde Funktion erfüllen. Allerdings können gerade in einer großen, arbeitsteilig und hierarchisch stark ausdifferenzierten Organisationen wie der Polizei, Motive, die sich auf das Gesamtziel der Organisation beziehen, nur schwer befriedigt werden, da eigene Handlungen oft erst zu einem späteren Zeitpunkt, durch eine andere Person oder in einem anderen Zusammenhang an Sinn gewinnen (vgl. Luhmann 1995: 91). Beispielsweise macht es für Streifenpolizisten Sinn, nach einem Unfall den Verkehrsfluss möglichst schnell wieder herzustellen. Für die ‚Befindlichkeiten’ der Ermittler, möglichst lange und ausführlich Beweise zu sammeln, die die nachfolgenden Ermittlungen deutlich erleichtern würden, haben sie dagegen wenig Verständnis. Auch für Maßnahmen wie ‚Riegel vor!’ die in NRW neuerdings für einen Rückgang von Wohnungseinbrüchen führen soll, haben viele Polizisten wenig Verständnis. Der oftmals geäußerte Verdacht ist, dass derlei Kampagnen vor allem politische Interessen befriedigen sollen, auf die tatsächliche Sicherheitslage aber wenig Einfluss haben. Unabhängig davon, ob dieser Verdacht zutrifft oder nicht, ist er sowohl für die Zweckidentifikation — welche die Überzeugung voraussetzt, dass das gesetzte Ziel erreicht werden kann (Barnard 1970: 78) — als auch die Koordination von Arbeitsaufgaben problematisch. Im schlechtesten Fall führt dies zu bekannten Abwehrhaltungen wie: „Wofür mache ich das hier eigentlich?“ oder „Wem ist damit geholfen?“. Wie aber kommt es zu solchen ‚Entfremdungserscheinungen‘ und wie kann die Organisation damit umgehen?
Unterziele und Arbeitsaufträge ergeben sich nicht zwingend aus Oberzielen, sondern entstehen in einem längeren Aushandlungsprozess, der unterschiedliche Fachbereichs- und Hierarchieebenen der Organisation durchläuft. Die Gestaltung dieses Aushandlungsprozesses ist ein wichtiger Faktor dafür, ob Mitarbeiter sich mit ihren Aufgaben identifizieren können, ob sie darin einen Beitrag zu einem höheren Zweck sehen oder nicht. Daher liegt eine wesentliche Funktion der Führungskräfte darin, die abstrakten Ziele gemeinsam mit den unteren Ebenen zu entwickeln sowie vorhandene Ziele, oder aber die eigene Perspektive auf vorhandene Ziele, nach unten hin nachvollziehbar zu machen (Barnard 1970: 192 ff). Umgekehrt müssen Führungskräfte auch die Arbeit an der Basis verstehen, da die Funktion allgemeiner Ziele sonst nicht erfüllt werden kann und im besten Fall noch als Fassade geeignet ist. Ein entscheidender Faktor der Motivation besteht daher in der Kommunikation über Arbeit; über Aufgaben und Ziele. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Aushandlungsprozesse über Sinn und Zwecke von Arbeit in jedem Fall stattfinden. Führungskräfte können sie daher nicht verhindern, möglicherweise aber dadurch (‚positiv’) beeinflussen, dass sie versuchen bewusst und offen daran teilzunehmen. Die formalen Trennlinien der Organisation, in Form von Hierarchien und sachlicher Differenzierung, können auf der Ebene der Kommunikation immer wieder kurz ‚überwunden‘ werden. Dadurch wird deutlich, in welchem Kontext die eigene Arbeit in Bezug auf die Ziele der Organisation steht. Mit einem gegenseitigen Austausch können nicht nur vorhandene Ziele vermittelt, sondern auch neue entwickelt werden. Dabei sollte die Perspektive der operativen Kräfte mit denen der administrativen Ebene nicht im Widerspruch stehen, sie können sich ergänzen, um sowohl den praktischen Erfahrungen als auch der Anforderung allgemeiner Ziele — die oftmals auch politischen Zwängen ausgesetzt sind — gerecht zu werden.
Literatur: Kann bei Bedarf im Fachgebiet I.1 nachgefragt werden.
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