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Und es hat Zoom gemacht ...

„Und es hat Zoom gemacht“. Zur aktuellen Diskussion des „Führens auf Distanz“ in Zeiten der Pandemie.

von Dirk Heidemann (Deutsche Hochschule der Polizei)

Abstand lautet das Paradigma, welches in Corona-Zeiten das Zusammenleben und -arbeiten prägt. Persönliche Kontakte gilt es dabei möglichst zu minimieren bzw. gar zu vermeiden, was in den letzen Wochen einerseits zu einem fulminanten Anstieg der Telefon- und Videokonferenzen im Arbeitsleben und andererseits zu einem zuvor kaum denkbaren Ausmaß an HomeOffice-Tätigkeit geführt hat. Meetings mit Zoom- oder Microsoft Teams, GotoMeeting oder -Webinar, Adobe Connect, um nur einige Anbieter und Profiteure dieser Entwicklung zu benennen, sind geradezu allgegenwärtig und schon beinahe im alltäglichen Sprachgebrauch etabliert, wenn man sich mal eben „zusammenzoomt“ oder beiläufig erwähnt, man müsse jetzt noch in eine „Videoschalte“.


Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen, könnte man sagen, aber es ist schon erstaunlich, wie schnell und scheinbar selbstverständlich die Umstellung auf das Digitale vor sich ging und wie unmittelbar Besprechungen und Konferenzen beispielsweise, die des AK II oder des Kuratoriums der Deutschen Hochschule der Polizei, die bisher schon wegen der damit verbundenen Dienstreisen mit hohem logistischen Aufwand verbunden waren, aus dem eigenen Büro oder gar aus dem HomeOffice betrieben wurden. Und es hätte „bei mehr als 50 Tagesordnungspunkten“ funktioniert, heißt es von Teilnehmenden, die dabei ein wenig überrascht wirken.


Nun ist es nicht so, dass Videokonferenzen oder Arbeiten aus dem Homeoffice vor Corona-Zeiten nicht möglich gewesen wären, jedoch nicht ohne Weiteres. Die Technik dafür stand schon länger bereit. Sie wurde aber durch bürokratische Verfahren (siehe die Genehmigung und Einrichtung von Tele-Arbeitsplätzen) oder durch alltagspraktische Vorgehensweisen zumeist ausgebremst. So kam es, dass die für Videokonferenzen beschafften Bildschirme auf zahlreichen Büroschränken verstaubten.

Es brauchte offenbar die Krise, damit Vorgesetzte, die bis dahin keineswegs irritiert schienen, wenn sie noch um 18:30 Mitarbeitende in ihren Büros antrafen, ihren Anspruch auf Kontrolle und Verfügbarkeit gegenüber ihren Mitarbeitenden hintenan stellten bzw. stellen mussten. Kann man aufgrund dessen jetzt schon von „Online als neuer Normalität“ im Arbeitsleben sprechen? Vermutlich nicht und doch ist absehbar, dass eine Rückkehr zu Vor-Corona-Zeiten nicht möglich sein wird.


Vor diesem Hintergrund befassen sich polizeiliche Organisationen derzeit mit der Frage, wie Führung und Zusammenarbeit unter Bedingungen der Distanz künftig funktionieren könne. Sie sind auf der Suche nach einem Konzert für das „Führen auf Distanz“. Hinsichtlich des möglichen Nutzens dieser Suche, die organisationstypisch in Form von Arbeitsgruppen und Projektaufträgen abgewickelt wird, ist Skepsis angebracht. Es scheint, als richte sich der Blick eher auf die technische Seite des „Führens auf Distanz“ und weniger auf das Verständnis des Führens von nicht unmittelbar Anwesenden. Genau dies wäre aber erforderlich, wie ich im Folgenden anhand einer kurzen Analyse des Schlüsselfaktors für das Entstehen von Führung, der Interaktion, zeigen möchte. Als Grundlage der Analyse soll Luhmanns (1999) elementares Verständnis von Führung dienen, weil es darauf verweist, dass Führung nur wirksam werden kann, wenn Folgebereitschaft entsteht.

Interaktion als zentrale Bedingung von Führung

Mit Niklas Luhmann wird Führung in Organisationen wirksam, wenn einzelne Mitglieder in der Lage sind, „den Ton anzugeben“ und dadurch in Situationen, die durch Verhaltensunsicherheit geprägt sind, für Orientierung sorgen und Folgebereitschaft bei anderen Mitgliedern erzeugen (vgl. 1999: 208). Im Organisationsalltag ist dieser Vorgang allgegenwärtig. Andauernd erörtern Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden, wie Arbeitssituationen zu bewältigen sind, wie Vorgaben der Behörden oder Innenressorts umzusetzen sind, wie die Anforderungen der Arbeitsalltags zu bewältigen sind. Nicht alle Einzelheiten können von vornherein bedacht werden und so ist immer wieder auszuhandeln, wie Vorgaben oder Erfordernisse zu verstehen sind, welche Aufgaben priorisiert werden sollen, welche Vorgehensweisen angemessen sind und dabei treten jeweils unterschiedliche Sichtweisen in den Wettbewerb. Hat beispielsweise das Einhalten der Kontaktsperre in einer Parkanlage Vorrang oder sollte dies eher für das Überwachen einer Raser-Szene gelten und mit welchem Ressourceneinsatz sollten die jeweiligen Aufgaben übernommen werden? Soll bei Verstößen gegen die Kontaktsperren zunächst ermahnt werden und wo soll die Schwelle zum Erteilen einer Verwarnung liegen? Mit welchen Mitteln soll ihre Einhaltung ggf. durchgesetzt und wie mit welchem Sprachgebrauch soll die Vorgehensweise gegenüber der Öffentlichkeit vermittelt werden. Die Reihe ließe sich nahezu beliebig fortsetzen und das Ergebnis derartiger Erörterungen ist grundsätzlich nicht berechenbar. Die fehlende Berechenbarkeit ist ein zentrales Merkmal von Interaktionen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die beteiligten Akteure ihre Sichtweisen in wechselseitiger Beeinflussung einbringen und im Erfolgsfalls eine gemeinsame Sichtweise entwickeln, die zur Grundlage des weiteren Handelns wird (vgl. Pongratz 2009: 47). Ob eine und welche Sichtweise sich dann durchsetzt und ob Folgebereitschaft erzeugt werden konnte, ist nicht gewiss und nicht allein durch den formalen Verfügungsanspruch der Vorgesetzten gewährleistet.


Deshalb ist die Einsicht, dass Interaktionen sich für Führungspersonen als wichtiges Gestaltungsfeld erweisen, nicht neu. Führungskräfte mussten sich auch vor Corona schon überlegen, wie und unter Zuhilfenahme welcher Medien sie ihre Mitarbeitenden erreichen können. Laden sie zu einer Besprechung ein, versenden sie Informationen per E-Mail und bitten um Antwort oder stellen sie ihre Position in einer Mitarbeiterzeitung dar, in der Hoffnung, dass Mitarbeitende diese auch lesen und die vorgestellte Position bestenfalls teilen. In jedem Fall geht es um die Vermittlung einer Sichtweise und den Versuch, „den Ton anzugeben“. Echte Interaktionen im Sinne einer wechselseitigen Einflussnahme sind allerdings nur in der face-to-face-Interaktion bei körperlicher Anwesenheit möglich (vgl Luhmann xxxx). Im Gegensatz dazu bleibt bei der Kommunikation per Schriftstück, Mail oder Messenger offen, ob und zu welcher Zeit und unter welchen Umständen der kommunizierte Inhalt zur Kenntnis genommen und vor allem, wie der Inhalt seitens der Empfänger*innen interpretiert wird. Die wechselseitige Einflussnahme bleibt aus, so dass von Interaktionen nicht zu sprechen ist.


Ob jemand unter der Bedingung physischer Präsenz „den Ton angibt“ angibt, war und ist durch Faktoren wie (hierarchische) Macht, Expertise oder Begründungsfähigkeit bestimmt. Und nicht zuletzt war und ist die Gestaltung der Interaktion in sozialer, zeitlicher und räumlicher Hinsicht von maßgeblicher Bedeutung für wirksames Führen. Im Rahmen der Gestaltung stellen sich Führungspersonen deshalb seit jeher unter anderem folgende Fragen:


Wie kann bzw. muss ich welche Akteur*innen an der Interaktion beteiligen?
Welche Arbeitsprozesse sind geeignet? Wie kann ich Verständigung erzeugen, wie kann ich Vertrauensbeziehungen nutzen, an welchen Punkte kommt auf einen dosierten Einsatz der Hierarchie an?
Welche zeitlichen und räumlichen Bedingungen können meine Vorgehensweise unterstützen (z. B. Tageszeit, Stuhlkreis oder formale Sitzordnung)?

Das eingangs angesprochene Nutzen von Videokonferenzen für die Koordination von Aufgaben und Vorgehensweisen fördert nun eine Variante der Interaktion zutage, die voraussichtlich auch nach Corona-Zeiten relevant bleiben wird: die technisch vermittelte Anwesenheit. Damit stellt sich die Frage, wie Führungspersonen unter diesen besonderen Bedingungen „den Ton angeben“ können.

Interaktion bei vermittelter Anwesenheit

Um die Differenz zur bisher üblichen Interaktion bei physischer Anwesenheit noch einmal herauszustellen: Sie ist gekennzeichnet durch die gleichzeitige Anwesenheit der beteiligten Akteur*innen in einem Raum. Alle Beteiligten befinden sich im gleichen situativen Kontext, auch wenn sie ihn höchst wahrscheinlich unterschiedlich wahrnehmen. Sie sind unmittelbar in der Lage, wechselseitig mit ihren verbalen und körperlichen Reaktionen Einfluss auf die Situation zu nehmen bzw. auf die Reaktionen wahrzunehmen und darauf einzugehen. Ihre Distanziertheit, ihre Erregung, ihr Engagement, all das bleibt den gleichzeitig Anwesenden nämlich nicht verborgen. Diejenigen, die in Führung gehen möchten, können sich aufgrund ihrer Wahrnehmung der Gesamtsituation in Ihrem Verhalten anpassen, sie können Koalitionen mit schweigend Zustimmenden bilden, sie können Hierarchie in Szene setzen, an die eigene Gruppe appellieren, sie können Zweifelnde und Zögerliche zur Stellungnahme auffordern, sie können sie vor allem als Zweifelnde oder Zögernde identifizieren. Die Situation spiegelt gewissermaßen die symbolische Ordnung der Organisation, während in Videokonferenzen Menschen bloß als „talking heads“ erscheinen.


In der Videokonferenz stellt sich schon die Gleichzeitigkeit etwas anders dar. Alle Beteiligten sind zwar gleichzeitig zugeschaltet, jedoch geht die Gleichzeitigkeit schon bei der Sprache aufgrund technisch bedingter Verzögerungen verloren und damit auch die Spontanität der wechselseitigen Rede. Die Beteiligten befinden sich in derselben Videokonferenz, aber jeweiligen Kontexten ihrer Büros oder ihrer eigenen HomeOffices. Und diese können sich durchaus sehr unterschiedlich darstellen, je nachdem, ob der Computer im eigenen Arbeitszimmer oder in der Küche steht oder ob im HomeOffice nebenbei Familienaufgaben wahrgenommen werden müssen. Der situative Kontext der einzelnen Teilnehmenden bleibt gleichfalls nicht ohne Wirkung auf die Wahrnehmung der Interaktion. Jeder und jede leidet gewissermaßen für sich allein.


Ein weiterer Aspekt, der für Führungspersonen nicht zu vernachlässigen ist, ist die spontane Interaktion, die sich ergibt, wenn Führungspersonen sich in den Räumen ihrer Organisationseinheit bewegen oder mal eben über den Flur zu einer adhoc-Erörterung bitten (vgl. Böhle 2017: 202). Gerade in derartigen, eher informalen Interaktionen werden Informationen und ihre Interpretation eher beiläufig vermittelt und können für künftige Arbeitssituationen genutzt werden (vgl. Reichertz, Wilz 2016).


Den Verlusten stehen allerdings je nach Perspektive auch Gewinne gegenüber. Als Beteiligte ist man in Videokonferenzen nicht mehr gezwungen, sich vollständig zu zeigen. Man kann Kamera und / oder Mikrofon vorübergehend abschalten und nur dann aktivieren, wenn man sich zu Wort meldet. Man kann formal anwesend sein und unbemerkt am Rechner Arbeiten erledigen. Gespräche oder Geflüster nebenbei ist zwar über die meistens verfügbaren Chat-Funktionen möglich, sind jedoch aufgrund der Schriftlichkeit ebenfalls weniger spontan. Ähnlich verhält es sich wohl mit Rückmeldungen auf das Gesagte über Emoticons, die „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“ signalisieren. Festzuhalten ist, dass auf diese Weise die Sachdimension zu Lasten der Sozialdimension in den Vordergrund gerät, während bei gleichzeitiger räumlicher Anwesenheit durchaus die Sozialdimension eine stärke Relevanz und Wirkung auf Verlauf und Ergebnis der Interaktion entfalten kann. Damit kann das, was hier für die Beteiligten als Gewinn eingestuft wurde, sich für Führungskräfte, die auf Feedback und das Wahrnehmen von Stimmungen, sich andeutender Konfliktlinien und Widerständen angewiesen sind, als Verlust herausstellen.

Dies gilt in ähnlicher Weise für die spontanen Interaktionen. Online-Meetings können auch spontan herbeigeführt werden. Es bleibt aber aufgrund der technischen Vorleistungen, die zu erbringen ist, eher bei einer „vermittelten“ Spontanität. Allein die technische Vermittlung verleiht der Interaktion einen formaleren Rahmen, als die zufällige Begegnung auf dem Flur, so dass die oben angesprochene Beiläufigkeit und Zufälligkeit zugunsten der Sachdimension in den Hintergrund tritt.

Als vorläufiges Fazit möchte ich ebenfalls festhalten, dass sich für Führungspersonen für Interaktionen bei technisch vermittelter Anwesenheit grundsätzlich die selben Fragen stellen, wie unter den Bedingungen der gleichzeitigen räumlichen Anwesenheit. Sie werden wie bisher einschätzen müssen, wie sie ihre Interaktionen gestalten und hier insbesondere, inwieweit eine technisch vermittelte Interaktion geeignet ist, Führung zur Geltung zu bringen. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn bei der jeweiligen Fragestellung die soziale Dimension nicht von vornherein im Vordergrund steht. Sie werden sich darüber hinaus mit den technischen Möglichkeiten ihrer Konferenzsoftware auseinandersetzen müssen, z. B. wenn es um die aktive Mitwirkung der Beteiligten, möglicherweise über die Bildung von Arbeitsgruppen innerhalb der Videokonferenz oder um Abstimmungen zu erarbeiteten Positionen geht. Das Beherrschen der Technik und der souveräne Umgang mit den damit einher gehenden Störungen werden neben der nach wie vor notwendigen Kompetenz, Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse zu steuern, zu Erfolgsfaktoren.

„Führen auf Distanz - eine Modeerscheinung?

Technisch vermitteltes Führen wurde bisher zumeist im Kontext neuer Anforderungen an Führung im Zuge der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft thematisiert. Dabei wurde und wird oft von agilen Organisationen gesprochen, deren Führungskräfte mit agilen Mindsets ausgestattet sind und die digitale Transformation vorantreiben. Der Grundgedanke besteht darin, dass Organisationen die für sie relevanten Umwelten beobachten und flexibel auf deren Anforderungen (gemeint sind die Anforderungen des Marktes) reagieren und dass Organisationen, die dies bisher nicht ausreichend schnell leisten, umzugestalten sind. Dafür braucht es agile Führungskräfte und digitalisierte Prozesse, die es beispielsweise ermöglichen, Kundenanforderungen unmittelbar in die Organisation zu bringen (vgl. unter anderem Hofiert 2018: 13 und Bartonik 2018: 4).


Was Führung angeht, kann man in Bezug auf die Rede von Agilität durchaus von altem Wein sprechen, der immer mal wieder in neuen Schläuchen angeboten wird. Hier deutet sich eine Ähnlichkeit zu Moden im Bekleidungsbereich, die mit dem Zeitgeist kommen und auch wieder gehen. Die Funktion von Führung bestand jedoch schon immer darin, Umweltanforderungen in die eigene Organisation zu vermitteln und die eigene Organisation lern- und anpassungsfähig zu halten. Die Rede von agiler Führung leistet auch keine wirklich neuen Beiträge zur Frage, wie Führungskräfte in Situationen, die durch widersprüchliche Anforderungen und Verhaltensunsicherheit gekennzeichnet sind, Folgebereitschaft erzeugen können. Und auch das „Führen auf Distanz“ ist kein umfassend neues Thema. Wie oben bereits gesagt, stehen Videoübertragung und Technik für die Arbeit aus dem HomeOffice schon seit längerem zur Verfügung. Nach meiner Einschätzung wird jedoch die Frage des „Führens auf Distanz“ auch nach Corona weiterhin diskutiert, wobei die Blickwinkel sich möglicherweise umkehren werden. Musste zuvor man begründen, warum man eine Videoübertragung für eine Besprechung einsetzen oder warum man einen Telearbeitsplatz einrichten will, könnte es künftig könnte es so sein, dass man begründen muss, warum man zu einer Besprechung unter körperlicher Anwesenheit bittet und warum eine Tätigkeit nicht im HomeOffice erledigt werden kann. Diese Begründungen sind nicht so leicht zu liefern. Die oben gezeigten Verluste liegen eher im Informalen (siehe oben) liegt und sind daher schwer zu belegen. Zudem stehen Organisationen auch immer unter einen gewissen Anpassungsdruck, wenn andere Organisationen sich eine Mode zueigen machen und sich damit in ihrer Außendarstellung schmücken.


Es ist schon jetzt absehbar, dass Behörden für diese Fragen Regelungen erarbeiten werden. In welchen Aufgabenbereichen (Stab, Kriminalitätsbekämpfung, Verkehrssicherheit, Aus- und Fortbildung, etc.) kann mit welcher Technik bei welchen Anlässen auf Distanz wirksam geführt werden? So oder so ähnlich könnte eine Fragestellung für die zu erstellenden Projektaufträge lauten. Und es ist absehbar, dass die Ergebnisse dieser Projektarbeiten keine eindeutigen Antworten liefern werden. Deshalb schlage ich für derartige Projektaufträge mindestes die folgenden Arbeitsschwerpunkte vor, die sich an den hauptsächlichen Hindernissen der Digitalisierung von Arbeitsprozessen orientieren: erstens die soziale Perspektive und zweitens die technische Perspektive.


Die soziale Perspektive sollte Führungspersonen und Mitarbeitende in Mittelpunkt stellen. Führungspersonen sind auch nach Corona für die Gestaltung ihrer Interaktionen verantwortlich. So wie sie bisher entschieden haben, welche Informationen sie mit welchem Medium vermittelt haben, welche Probleme sie zum Gegenstand einer Erörterung im Führungsteam oder in der Dienststelle gemacht haben und welche sie in Einzelgesprächen bearbeitet haben, können sie künftig auch entscheiden, welche Themen sich in ihrem Verantwortungsbereich für technisch vermittelte Interaktionen eignen. Das Gleiche gilt für Mitarbeitende, die gegenüber ihren Führungskräften ihre Erwartungen an deren Gestaltung von Interaktionen formulieren. 

Basis für die Beantwortung der Frage, welches Medium geeignet sein könnte, ist ein tieferes Verständnis von Interaktionen, das hier nur kurz angerissen werden konnte. Eine formale Festlegung von Aufgabenbereichen und Anlässen kann keinesfalls die Vielzahl der Vorgesetzten-Mitarbeitendenkonstellationen abbilden, z. B. in Bezug auf die Fähigkeit und Bereitschaft der Beteiligten, in technisch vermittelte Interaktionen einzutreten. Sie kann ebensowenig die Komplexität der jeweils anstehenden Führungssituation in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht berücksichtigen und wird daher mit hoher Wahrscheinlichkeit wirkungslos bleiben.

Die zentralen Fragen der sozialen Perspektive lauten daher, wie Führungskräften das notwendige Wissen über den Zusammenhang von Führung und Interaktionen vermittelt werden kann, wie sie es in den Organisationsalltag übersetzen können und vor allem, wie sie mit Ihren Mitarbeitenden technisch vermittelte Formen der Zusammenarbeit im Sinne einer „work based usability“ entwickeln können (vgl. Ritter et al 2020: 262).


Die technische Perspektive ist im Rahmen einer Projektarbeit deutlich leichter zu bewältigen. Allerdings ist auch hier das grundsätzliche Verständnis von Führung und Interaktion unverzichtbar. Es bildet neben den üblichen Kriterien für technische Lösungen, wie Verfügbarkeit, Performanz, Bedienbarkeit und Kosten, die Grundlage für die Beurteilung technischer Lösungen. Insbesondere die Frage, welche Möglichkeiten eine Anwendung bereitstellt, um Beteiligung an Problemlösungsprozessen, Visualisierung und Dokumentation von Ergebnissen, wird auf dieser Ebene relevant werden, wenn man nicht bei bloßer Videotelefonie in Gruppen stehen bleiben will.


Literatur


Bartonitz, M., Lévesque, V., Michl, T., Steinbrecher, W., Vonhof, C., & Wagner, L. F. J. (Hrsg.). (2018). Agile Verwaltung: Wie der Öffentliche Dienst aus der Gegenwart die Zukunft entwickeln kann. Springer Gabler.


Hofert, S. (2018). Das agile Mindset: Mitarbeiter entwickeln, Zukunft der Arbeit gestalten. Springer Gabler.


Luhmann, N. (1999). Funktionen und Folgen formaler Organisation: Mit einem Epilog 1994 (bu). Duncker & Humblot.


Pongratz, H. J. (2003). Die Interaktionsordnung von Personalführung: Inszenierungsformen bürokratischer Herrschaft im Führungsalltag (1. Aufl). Westdt. Verl.


Reichertz, J., & Wilz, S. M. (2016). Wie verändert die Einführung neuer Kommunikations- und Informationsmedien die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Der Kriminalist, 3/2016, 18–25.


Ritter, T., Porschen-Hueck, S., & Neumer, J. (2020). Digitalisierung in der Verwaltung am Beispiel der Polizei. In Management-Moden in der Verwaltung (S. 247–266). Springer Gabler.

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