Artikel
Milica Ilić
Eine Organisation ohne Führung ist kaum in irgendeinem Land denkbar. Egal, ob Unternehmen, Verwaltung oder Polizei, vorzufinden ist hauptsächlich eine Führung, die vom Vorgesetzten ausgeht. Interessant wäre daher, das ganze Konstrukt Führung aus einer anderen Sichtweise aus zu beleuchten.
Führung als situativ erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten?
Die Auswahl an Literaturen, was Führung ist und wie sie sein soll, wie sie gelingt und scheitert, ist immens, jedoch wird wenig über die Führung als soziales Phänomen geschrieben. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass die Erkenntnisse infrage gestellt werden sollten, sondern es soll lediglich ein Vorschlag gemacht werden, wie das soziale Phänomen ‚Führung‘ ebenfalls angesehen werden kann. Wir betrachten Führung daher als situative erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten (vgl. Muster et. al. 2017: 3).
Bedingung für die Führung ist eine soziale Situation, in der es zu einem kritischen Moment kommt, in der Führung überhaupt benötigt wird. Nehmen wir ein „Meeting“ als soziale Situation. Ein kritischer Moment könnte beispielsweise entstehen, wenn z.B. der Vorgesetzte einen inhaltlichen Fehler macht. Wenn einer der Beteiligten den Fehler anspricht, kommt es zu einem Führungsanspruch, indem bestimmte Einflussmittel genutzt werden. Erst wenn andere diesem Führungsanspruch folgen, kann überhaupt von Führung gesprochen werden. Ob es zu einer Führung kommt, wird also durch andere entschieden (vgl. Muster et. al. 2017: 14).
Führung ist somit abhängig von anderen und kann dabei in allen Ebene bzw. Richtungen erfolgen, was bedeutet, dass eine Anweisung nicht nur von der oberen Hierarchieebene aus möglich ist, sondern auch Angestellte eine sogenannte Führungsrolle übernehmen können. Daher sind Vorgesetzte durch ihre hierarchische Position nicht automatisch als führende Personen zu betrachten. Wichtig ist, dass der Führungsanspruch immer situativ durchgesetzt wird. Situativ, da kritische Momente erst dann entstehen, wenn die vorhandenen formalen und informalen Erwartungen nicht ausreichen und Führung notwendig wird. Daher werden sie auch als Auslöseereignis für Führungssequenzen angesehen (vgl. Muster et al. 2017:14).
Dieses soziale Phänomen finden wir nicht nur in Organisation wieder, sondern auch in Familien, unter Freunden sowie auch in spontanen Situationen. Ganz egal, um welche Interaktion es sich dabei handelt, nach Luhmann kann „in jeder Interaktion jemand elementar in Führung gehen, indem er oder sie Einfluss ausübt“ (Muster et. al. 2017: 11).
Was in diesem Kontext ebenfalls nicht vernachlässigt werden darf, ist der Begriff der Hierarchie. Eine Organisation, in der keine Hierarchie vorhanden ist, ist wohl kaum möglich. Besonders die Polizei würde ohne Hierarchieebenen mit Sicherheit nicht funktionieren. Nicht zuletzt wissen wir, dass die Person, die in der Hierarchie weiter oben angesiedelt ist, auch mehr Sagen hat. Das ist in der Rollenbeschreibung niedergelegt und durch die Formalisierung der Hierarchie sichergestellt. Dieses darf jedoch nicht mit dem Führungsbegriff in kritischen Momenten verwechselt werden oder gar gleichgestellt werden, in der „Organisationen sich nur bedingt an ihre Regeln halten [und] Hierarchien nicht unumstößlich festlegen, wer in Führung geht“ (Muster et. al. 2017: 3). Der Führungsanspruch ist dabei situationsabhängig und kann sich von Situation zu Situation ändern. Daher muss unbedingt zwischen Führung in Organisationen und Führung in elementaren Interaktionen (kritischen Momenten) unterschieden werden.
Literatur
Muster, J., S. Büchner, T. Hoebel & T. Koepp, 2017: Führung als situativ erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten. Grundzüge, Implikationen und Forschungsperspektiven. Unveröffentlichtes Manuskript, Potsdam; Bielefeld; Hannover.
Dieser Artikel wurde noch nicht kommentiert.