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Wolfgang Stöckel
„Der wahre Philosoph führt nur dann, wenn er führen muss“
Cicero 106 v. Chr. – 43 v. Chr.
In der aktuellen Diskussion über die Anforderungen an eine moderne Führungskonzeption für die Polizei fällt ein Unterschied in der Betrachtungsweise des jeweiligen Anwendungsspektrums unweigerlich ins Gewicht. So unterscheidet sich der Aufbau von möglichen Führungskonzeptionen in einer Form der regulativen Idee der angestrebten Zielerreichung (Kooperatives Führungsmodell -KFS- nach Altmann / Berndt und Polizeiliches Führungsmodell -PFM- nach Thielmann / Weibler ) und einer darüberhinausgehenden Möglichkeit eines didaktischen Ansatzes zur Erlernung von Führung (Kooperatives Führungsmodell 2.0 -KFS 2.0- nach Barthel/Heidemann), losgelöst von Führungsmythen mit Hinblick auf eine Funktionserfüllung der Führung in Organisationen, insbesondere zum anlassbezogenen Interagierens bei rationalen Lücken im strukturellen und sozialen Kontext der jeweiligen Organisationsstruktur. Kurz, der Diskussionsunterschied befindet sich irgendwo in dem Bereich dessen, was von einer Führungskonzeption regulativ erwartet wird und was eine Führungskonzeption aber tatsächlich nur kann.
Es bedarf daher einer Bestimmung dessen, in welchem Bereich der Persönlichkeit einer Führungskraft eine Führungskonzeption tatsächlich Einfluss nehmen könnte und welcher Bereich der Persönlichkeit für diese nicht zugänglich ist. Die Führungskraft als Mensch definiert und unterscheidet sich durch das Vorhandensein und die individuelle Ausprägung unterschiedlichster Kompetenzen. Ohne eine Wertigkeit der einzelnen Kompetenzen, bauen diese aber zumindest unter dem Aspekt des „terminus technicus“, also dem bedingten Vorhandensein, aufeinander auf.
Ausgehend von diesem Ansatz befindet sich daher die fachliche Kompetenz am (noch-) objektiven Rand des zu bestimmenden Anwendungsspektrums. Hierunter fallen u.a. das vermittelbare Fachwissen und Vorhandensein der entsprechenden Organisationsstrukturen. Dieser folgt die methodische Kompetenz, also planerische bzw. organisatorische (erlernbare-) Fähigkeiten und die Fähigkeit der vordefinierten Umsetzung von Handlungserfordernissen in der Organisa- tionsstruktur. Zwar noch klar definierbar und sicherlich jederzeit ausbaufähig, im Rahmen der individuellen Möglichkeiten, folgt dann die soziale Kompetenz. Hierunter werden die individuellen Fähigkeiten zur Kommunikation, der Kontaktnahme zu Mitmenschen sowie das daraus resultierende Selbstvertrauen und der entsprechende Umgang dessen in der Umwelt verstanden. Die Tatsache, dass Anforderungsprofile im Bereich der Führung im Rahmen dieser Kompetenzen meist ihre Ermanglung finden, deutet darauf hin, dass im weiteren Verlauf der Beurteilung einer Führungspersönlichkeit nun ein Kompetenzbereich folgt, welcher nicht mehr so trennscharf festgestellt werden kann, bzw. nicht gemessen werden kann und somit aus der Objektivität, selbst als regulative Idee, heraustritt. Hierbei handelt es sich um die ethische Kompetenz. Allein der Versuch, die menschliche Ethik als sittlich normengebundenes Verantwortungshandeln einer Definition zuzuführen, lässt erkennen, dass hier die Anforderung eines o.a. technisch objektivierbaren Anwendungsbereichs verlassen wird. Einen Versuch, diesen Bereich fassbar zu machen, schreibt diesem Kompetenzbereich somit das (zeitlose-) Werteverständnis, die Fähigkeit zur individuellen Verantwortungsbereitschaft und dem Pflichtbewusstsein auf moralischer Grundlage zu. Doch hiermit nicht genug. Denn kann man zwar ein gewisses ethisches Grundverständnis zumindest innerhalb eines geschlossenen Kulturkreises, innerhalb eines bestimmten Rahmens, noch definieren, so entzieht sich aber ein solcher Versuch spätestens in der allem übergeordneten individuellen Kompetenz, unter deren Aspekt des individuellen Freiheits-, Gleichheits-, Verbundenheits- und Toleranzempfinden, zusammengefasst die individuelle Sichtweise der Humanität ergibt. Im weitesten Sinne kann man diese individuelle Kompetenz für sich als Persönlichkeit definieren und von außen als vorbildlich, vertrauensvoll, charismatisch, human in der Wirkung erkennen.
Ausgehend von einer aufeinander aufbauenden Abhängigkeit der unterschiedlichen Kompetenzbereiche erscheinen diese einzeln in Bedingung zueinander zu stehen und erheben den Anspruch an eine Führungskonzeption, auf die Regulierung des Kontextes zwischen Führung, Ausführung und Organisation Einfluss zu nehmen. Doch handelt es sich hierbei um eine rein objektive Annahme im Sinne der Mengenlehre, welche ihren Fehler im Bereich der nichterfassbaren menschlichen Individualität findet. Aristoteles verdeutlichte diese grundsätzliche Fehlannahme in der sog. Wahrheitsfindung mit der vielzitierten Aussage: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“.
In dieser Annahme lässt sich somit die Grenze eines möglichen Anwendungsspektrums einer Führungskonzeption finden. Die Führungskraft ist eben nicht die Summe der dargestellten Kompetenzen, sondern gerade im Bereich der ethischen und individuellen Kompetenz schwingt der zwischenmenschliche Kontext mit etwas für die Wissenschaft nicht Fassbarem mit. In der Psychologie bezeichnet man dies als sog. Blackbox, einen Bereich der Persönlichkeit, welcher nicht objektiviert werden kann, in seiner Abhängigkeit zueinander und der resultierenden Gesamtheit nicht feststellbar ist. Genauer, wir können nicht definieren, was eine Führungskraft vorbildlich, vertrauensvoll, charismatisch, eben human erscheinen lässt.
Unter den o.a. Aspekten muss also festgestellt werden, dass eine Führungskonzeption ihre Anwendungsermangelung im Übergang der sozialen zur ethischen Kompetenz findet. Unter diesem Zielanspruch können die in der aktuellen Diskussion befindlichen Führungskonzeptionen dahingehend positioniert werden, welchen Handlungsanspruch diese an sich selbst stellen. Exemplarisch versteht sich das in der PDV 100 als für die Polizei verbindlich regulierte KFS als regulatives Konzept, wonach die Elemente des KFS die wertgebundene kooperative Führung erreichen lassen sollen. Die Tatsache, dass innerhalb der deutschen Polizei häufig keine kooperative Führung empfunden wird, resultiert vermutlich aus einer Fehlinterpretation des zu erreichenden Ziels. Kooperative Führung stellt lediglich eine regulative Idee dar, und die Erreichung im Rahmen einer anzuwendenden Mengenlehre im o.a. Sinne lässt Zweifel an der tatsächlichen Möglichkeit aufkommen. Das KFS 2.0 hat dieses Problem (bewusst oder unbewusst) identifiziert und reduziert und isoliert den wertgebundenen Maßstab einer kooperativen Führung von dem didaktischen Erfordernis an eine Führungskonzeption.
Doch stellt sich die Frage, inwieweit kann die Organisation, in welcher Führung stattfindet, Einfluss auf die Funktion der Führung nehmen, wenn dieser Bereich aus einer Führungskonzeption ausgegrenzt wird? Ein Lösungsansatz für ein solches Dilemma wäre ein entsprechender Paradigmenansatz. Die jeweilige Organisation muss die Funktion der Führung vorgeben und die entsprechenden Führungspersönlichkeiten im Rahmen einer laufbahnbegleitenden didaktischen Konzeption an diesem entsprechenden Paradigma ausgerichtet lehren und anpassen. Exemplarisch kann hierfür das Prinzip des sog. „servant leaderships“ (nach Robert Greenleaf) genannt werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine konzeptionelle Auslegung des entsprechenden Anspruches an Führungskräfte, sondern um eine klare Vorgabe der erwarteten Funktion und Positionierung der Führungskraft innerhalb einer Organisation im ethischen Sinne. Durch diese Vorgabe an Funktion und Positionierung der Führungskraft in der Organisation wäre dieser Aspekt von der eigentlichen Führungskonzeption losgelöst. Diese wäre auf Erforderlichkeiten zum evtl. Paradigmenwechsel angepasst und universell auf unterschiedliche Teilorganisationseinheiten anwendbar, was das Vorhandensein mehrerer Führungskonzeptionen innerhalb einer Gesamtorganisationsstruktur ausschließen würde.
Zusammengefasst muss also festgestellt werden, dass aktuelle Führungskonzeptionen für die Polizei sich u.a. in dem Anspruch einer regulativen Idee und der tatsächlichen unmittelbaren didaktischen Umsetzung unterscheiden. Demgegenüber steht die Person der Führungskraft, welche sich aus den fachlichen-, methodischen, sozialen- ethischen- und individuellen Kompetenzen definiert. Gerade der nicht fassbare und regulative Bereich der ethischen und individuellen Kompetenzen stellt die Anwendungsgrenze einer unmittelbaren Einflussnahme auf die Führungskraft dar und ist somit für eine Führungskonzeption in der tatsächlichen Anwendung wegen tatsächlicher Unmöglichkeit irrelevant, was eine Wertgebundenheit der Selbigen aber nicht ausschließt. Zur Umsetzung einer entsprechenden Positionierung und Funktion von Führung innerhalb einer Organisation wie der Polizei bedarf es eines Paradigmas, welches der Führungskonzeption übergelagert / begleitend ist und diese in ein jeweiliges Gesamtes integriert und hierbei eine didaktische, laufbahnbegleitende Funktion übernimmt. Diesem Anspruch kommt zZt. das KFS 2.0 am ehesten nach.
14.09.17 @ 11:00
Der Vergleich einer Organisation mit einer Maschine verweist auf eine traditionelle zweckrationale Vorstellung von Organisationen. Der Zweck, im Falle der Polizei die Gewährleistung der Inneren Sicherheit, wird in dieser Vorstellung als Ausgangspunkt der Organisation genommen. Organisationen werden in diesem Verständnis als „soziale Gebilde“ bestimmt, die „dauerhaft ein Ziel verfolgen und eine formale Struktur aufweisen, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel ausgerichtet werden sollen“ (vgl. Kieser/Walgenbach 2003: 6, zitiert nach Kühl 2011: 24). Für den Arbeitsalltag kann der Organisationszweck in diesem Verständnis dann in verschiedene Unterzwecke und Aufgaben zerlegt werden (vgl. Kühl 2011: 23ff.).
Dieses maschinenartige Verständnis von Organisationen, in welchem die Organisation als Werkzeug für die Zweckerreichung erscheint, hat mit der Praxis jedoch nicht viel gemein und gilt als überholt. So geht mit dem Verständnis der Organisation als Maschine eine Fokussierung auf formale Strukturen einher, in der informalen Erwartungen nicht die nötige Aufmerksamkeit zukommt. Zudem hat der deskriptive Ansatz beispielsweise für Hierarchien gezeigt, dass bei der Bildung dieser häufig nicht vom Zweck ausgegangen wird (ebd). Sie werden nicht „im Hinblick auf einen Zweck gebildet, sondern es werden für die bereits existierenden Kommunikations- und Entscheidungswege die entsprechenden Zwecke gesucht“ (ebd. S. 29).
Das KFS fußt auf der nicht mehr zeitgemäßen Annahme die Polizei sei eine maschinenartige Organisation. Die Entwicklung des KFS 2.0 wird unter anderem genau damit begründet und grenzt sich deutlich von der maschinenartigen formalfokussierten Vorstellung von Organisationen ab. Stattdessen wird in Anlehnung an Stefan Kühl von einer dreigeteilten Betrachtung von formaler Seite, informaler Seite und Schauseite ausgegangen (siehe z.B. Barthel/Schiele hier in der Rubrik KFS 2.0). Die informale Seite, auf welcher die Blackbox am ehesten eingeordnet werden kann, zeigt, dass Mitglieder neben der fomalen Weisung mit einer Vielzahl anderer, nämlich informalen, Erwartungen konfrontiert sind, deren Existenz von einer Führungskraft nicht ignoriert werden sollte.
Lothar Berger 12.09.17 @ 14:29
„Der wahre Philosoph führt nur dann, wenn er führen muss.“
Cicero brauchte wenige Worte, um seinem Gedanken über Führung eine klare Form zu geben. Die alten Griechen, Cicero war da schon einer der „neueren“, verstanden unter einem Philosophen nicht so ganz das, was wir heute darunter zu begreifen versuchen. Von einigen der großen weisen Alten ist bekannt, dass sie Einweihungsschulen besucht hatten wie die von Eleusis. Sie wurden dabei von Mysten (die mit den geschlossenen Augen) zu sogenannten Epopten, also Sehenden. Wir würden heute vielleicht dazu sagen, ihre Blackbox wurde neu justiert. Diese mystisch-existentiellen Erfahrungen schufen einen anderen Bezug zu dem, was wir heute Welt nennen. Am ehesten finden wir diese Haltung heute noch bei Menschen, die das Schicksal dem Thema Tod sehr nahe brachte und die daran innerlich wachsen konnten. Ich erinnere mich da an einen Vortrag des Leiters der Katastrophenkommission zu Ramstein, den ich dort einordnen würde.
Solche Menschen greifen nicht (mehr) nach der Macht, können sie aber als Form des Dienens zu einem höheren Zweck durchaus benutzen. Führen müssen bedeutet hier, vom Schicksal dazu berufen zu sein, oft gegen eigenen inneren Widerstand. Ein gutes Beispiel dafür ist der biblische Mose, der übrigens selbst im gelobten Land gar nicht ankommt. Er stirbt, als er seine Aufgabe erfüllt hat. Dieses Verständnis von Führung als Opfer, als Hingabe an eine übergeordnete Macht, ist uns heute völlig abhandengekommen. Das Ego und der Stolz regieren den Mainstream. Macht wird um ihrer selbst willen gesucht und Geld ebenso. Das erschien den Weisen gerade verabscheuenswert und darum strebten sie nie nach der Macht.
Nun ist aber Polizei ein politischer Machtapparat, eine Verwaltungsmaschine, die wenig Spielraum für wirkliche geistige Entwicklung lässt. Daher bedarf es eines Führungsprogrammes 2.0 wie ein Computer ein Betriebsprogamm 2.0 für möglichst reibungslose Abläufe braucht. Die psychische Blackbox erscheint hier eher als etwas Bedrohliches, das im Ernstfall den Ablauf gefährden könnte, weil der Mensch manchmal nach seinem Gewissen und nicht nach seiner Weisung handelt. Aber die Gefahr ist heutzutage eher gering.