„Lernen Organisationen aus ihren Fehlern? (…) Wie also wird Lernen organisiert? Wird es gar aktiv verhindert? Und wie wird Scheitern verarbeitet? Wird es überhaupt auf eigene Annahmen und Praktiken zurückgeführt?“ (Moldaschl 2016). Welche organisationalen Strukturen erschweren das Lernen aus Fehler, welche ermöglichen es ggfs.? Welche Erfahrungen mit formalen Strukturen hat die Polizei gewonnen (Beschwerdestellen, Innenrevisionen, Kennzeichnungspflicht, …)?
Das waren die zentralen Fragen an die Tagung zur Fehlerkultur der Polizei, die aus einer Diskussion in diesem Blog entstanden ist und am 13/14.9.16 unter Regie des Fachgebiets I.1 „Führung in der Polizei“ an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster ausgerichtet wurde. Ca. 90 Teilnehmer/innen aus Polizei und Wissenschaft haben an der Tagung teilgenommen. Im Folgenden möchte ich mit den aus meiner Sicht wesentlichen Aussagen den Tagungsverlauf skizzieren:
Dirk Heidemann (DHPol, Münster) begründet in seinem einführenden Beitrag die Perspektive der Tagung auf die organisationalen Strukturen der Polizei. Aspekte der Fehlerkultur finden sich in den formalen Strukturen Organisation, wenn es beispielsweise um Regeln und Abläufe im Beschwerdemanagement geht. Sie finden sich in den informellen Strukturen, wenn es beispielsweise um Alltagspraktiken geht, die geeignet sind, Fehler zu verdecken und sie finden sich in der Außendarstellung der Polizei, beispielsweise in Leitbildern, wenn darauf verwiesen wird, dass Fehler offen angesprochen werden, damit daraus gelernt werden kann. Fehler haben für die Polizei eine besondere Relevanz, wenn sie öffentlich und politisch interpretiert werden.
Anja Mensching (Ostfalia, Suderburg) befasst sich zunächst mit Frage, was Fehler ausmacht. Sie macht deutlich, dass im Moment des Handelns die Frage des Fehlers noch ungeklärt ist. Die Entscheidung, ob es sich um einen Fehler handelt, wird erst im Nachhinein getroffen. Aus einer Vielzahl von Entscheidungen, die in der Vergangenheit getroffen wurden, werden Entscheidungen ausgewählt, bewertet und ggf. als Fehler bezeichnet („etikettiert“). Für die Polizei hält sie fest, dass die Funktion „Etikettierung“ einerseits an Hierarchie gebunden ist und dass andererseits auch eine „Etikettierung“ von außen (Politik, Medien) zu beobachten ist. Im Weiteren geht sie auf die Chancen von Fehlern für Organisationen ein: „Systeme bewegen sich rückwärts in die Zukunft (Luhmann 1991, Mensching 2016) – wir können gar nicht anders, als aus vergangenen Entscheidungen zu lernen“ und verdeutlicht dies am Beispiel der Einführung des bedarfsorientierten Schichtdienstmanagements. Sie sieht Fehler als doppelte Chance für Führung: Einerseits ermöglichen und erweitern Fehler Handlungsalternativen, sie bieten Chancen etwas über die eigene Organisation zu lernen, nicht zuletzt darüber, welche Fehleretiketten wann, von wem, wozu etc. vergeben werden. Andererseits sind Fehler(-etikettierungen) für Führungskräfte immer auch eine Mahnung zur Bescheidenheit, zur kritischen Reflexion der Ideen zur Fehlerprävention und zur Selbstreflexion der Fehlertoleranz sich selbst u. anderen gegenüber.
Georg Schreyögg (FU Berlin) geht in seinem Beitrag der Frage nach, warum Organisationen (oft) nicht aus Fehlern lernen können. Zunächst wendet er den Begriff des individuellen Lernens auf Organisationen an und versteht das Lernen einer Organisation als Veränderung des Handlungspotentials eines organisierten Sozialsystems aufgrund der Verarbeitung von Informationen. Lernen findet seinen Niederschlag in den Handlungstheorien der Mitglieder von Organisationen, die in „Offizielle“ und „faktische“ Handlungstheorien unterschieden werden können. Organisationale Lernbarrieren sieht Schreyögg einerseits in verhaltensbestimmten Barrieren (Defensiv-Routinen. Wahrnehmungsschranken, …) und andererseits in strukturellen Barrieren (Abteilungsrivalitäten, Hierarchiedenken, Pfadabhängigkeit, …). Unter Pfadabhängigkeit versteht er einen sich zuspitzenden Prozess von anfänglicher Offenheit über die Herausbildung von Erfolgsmustern bis hin zu völliger Inflexibilität. Pfade, so Schreyögg, wirken als unsichtbare Kraft und sind geeignet Organisationen zu verriegeln („lock-in“). Lernen und Innovation sind dann nicht mehr möglich. Insofern gilt es Pfadprozesse zu identifizieren und möglichst zu brechen.
Dieter Burgard (Landtag Rheinland-Pfalz) gibt einen Einblick in seine Arbeit als Bürgerbeauftragter und Beauftragter für die Landespolizei. Diese Funktion hat er inzwischen seit etwa zwei Jahren inne. Vorausgegangen war eine breit angelegte Diskussion, die in eine Anhörung des Innenausschusses und schließlich in die Gesetzgebung mündete. Er zieht insgesamt eine positive Bilanz seiner Arbeit, die er mit Fallzahlen und Einzelfallschilderungen begründet. Es wird deutlich, dass seine Rolle gegenüber der Polizei an die Funktion des Wehrbeauftragten der Bundeswehr anlehnt, wenn es darum geht Arbeitsbedingungen und Härten innerhalb der Polizei abzuhelfen. Bei Konflikten zwischen Bürgern und Polizei ähnelt seine Rolle eher der eines Mediators, der zum Ausgleich zwischen den Parteien beiträgt.
Martin Zink (DHPol, Masterstudiengang) hat sich in seiner Masterarbeit mit der externen Kontrolle der Polizei sowie ihren Vor- und Nachteilen befasst. Er fragt, inwieweit Fehler der Polizei deren Legitimation innerhalb der Bevölkerung, die er als maßgebliche Grundlage erfolgreicher Polizeiarbeit einstuft, beeinträchtigen können und inwieweit eine externe Kontrolle geeignet ist, die Legitimation der Polizei zu stärken. Unter anderem am Beispiel der Hamburger Polizeikommission belegt er, dass sich befürchtete Nachteile, wie unberechtigte Anschuldigungen, Misstrauen gegenüber der Polizei oder Verlust an Einfluss nicht eingestellt haben. Strukturelle Hindernisse macht er im Legalitätsprinzip, in der Aussageverpflichtung der Kolleg/innen und Vorgesetzten aus sowie in der Lobbyarbeit aus, die dazu beiträgt, dass der Sinn externer Kontrolle schwer zu vermitteln ist. Mögliche Chancen sieht Zink im Offenlegen von Fehlern und der damit verbundenen Chance zu Lernen. Die Klärung von Sachverhalten durch eine neutrale Stelle könne sowohl Beschuldigte als auch Vorgesetzte entlasten. Zusätzlich wäre eine gewisse präventive Wirkung zu erwarten.
Die abschließende Podiumsdiskussion mit Martin Herrnkind, Daniela Hunold (DHPol), Michael Zorn (ZPD Niedersachsen), Jörg Radeck (GdP) und Manfred Gigl (Bayr. LKA) moderiert Sabine Jacobs (Kölner Journalistenbüro Factum). Sowohl auf dem Podium als auch in der Diskussion mit dem Plenum werden Standpunkte sowohl zur internen als auch zur externen Kontrolle der Polizei kontrovers vertreten. Aus den Beiträgen wird deutlich, dass innerhalb von Polizei und Justiz Strukturen zu vermuten sind, die einer Aufklärung von Übergriffen entgegenwirken können. Als mögliche Lösungswege werden reflexive Verfahren, wie Supervision, strukturierte Nachbereitung (auch von kleinen Einsatzsituationen), Fehlerkonferenzen in die Debatte eingebracht.