Thomas Hoebel (Leibniz-Universität Hannover)

Nachdem eine Interaktion zwischen Polizist/innen einerseits, Bürger/innen andererseits gewaltsam eskaliert ist, eskalieren in der Regel auch die wechselseitigen Schuldzuschreibungen. Dabei existieren typischerweise zwei Arten nachträglicher Zuschreibungen: (1) Eskalation als Motiv – „X hat die Attacke gewollt“ oder „Y hat die Attacke provoziert“; (2) Eskalation als Fehler – „X hat eine falsche Strategie gehabt“ oder „Y hat eine falsche Entscheidung getroffen“. Solche rückblickenden „Vereindeutigungen“ sind trügerisch, weil ihnen die Annahme zugrunde liegt, dass die Personen, denen Motiv oder Fehler zugerechnet werden, die Lage zu ihren Gunsten hätten überblicken bzw. zugunsten einer friedlichen Interaktion kontrollieren können. Die jüngere sozialwissenschaftliche Forschung zu gewaltsamen Eskalationen sät Zweifel an dieser Annahme. Sie lenkt das Augenmerk vielmehr auf die situativen Unwägbarkeiten im konfliktgeladenen bzw. sich konfliktiv aufladenden Kontakt zwischen den Beteiligten und die emotionalen Dynamiken solcher Situationen.

Der Workshop zielt darauf ab, Analysen und Modelle gewaltsamer Eskalationen zu erörtern und ggf. mit Erfahrungsberichten von Teilnehmenden zu verknüpfen. Der Fokus richtet sich dabei einerseits auf die situative Bedeutung von Motiven und Fehlern, andererseits auf die formale oder informale Organisiertheit der Konfliktparteien und die daraus resultieren Eskalations- und Deeskalationstendenzen.

Prof. Dr. Tobias Singelnstein (Ruhr-Universität Bochum) / Eric Töpfer (Deutsches Institut für Menschenrechte Berlin)

Polizeiliches Handeln ist in der Alltagspraxis regelmäßig mit gesetzlich legitimiertem Einsatz von Gewalt verbunden. Insbesondere im Zusammenhang mit schwerwiegenden Einzelfällen wird die Frage der neutralen Bearbeitung strafrechtlich relevanter Vorwürfe gegen Polizeibeamt/innen öffentlich intensiv diskutiert. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern regelmäßig externe Einrichtungen zur Aufklärung derartiger Delikte, während Polizei und Staatsanwaltschaft ihre objektive Ermittlungspraxis und Vertrauenswürdigkeit betonen. Ein wesentlicher Aspekt dieser Diskussionen ist die hohe Einstellungsquote, z. B. bei Körperverletzungsdelikten, deren Ursache unter anderem in der Organisation der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsarbeit gesehen wird.

Der Workshop verfolgt das Ziel, formale und informale Praktiken bei Polizeien und Staatsanwaltschaften zu identifizieren und aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren.

Dr. Carsten Dübbers (Polizeipräsidium Köln)

In ihrer Alltagspraxis bearbeiten Polizeibeamt/innen konfliktreiche soziale Situationen, die von unterschiedlichen Sichtweisen der beteiligten Akteur/innen geprägt sind und für das weitere Verwaltungshandeln „vereindeutigt“ werden müssen (man denke an die Zuordnung eines Verhaltens zu einem Straftatbestand oder die Zuordnung einer Gefahrenlage zu einem Verursacher). Diese „Vereindeutigung“ wird im Nachhinein regelmäßig der Kritik ausgesetzt, sei es seitens der Beteiligten, der Vorgesetzten oder der Öffentlichkeit und ggf. als Fehler etikettiert.

Als Fehler bezeichnetes Verhalten bzw. Entscheidungen werden in den meisten Fällen intern sowohl formell, im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht und im Beschwerdemanagement, als auch informell, in Form abgestimmter Berichte oder mündlicher Verständigungen, verarbeitet. Wird Öffentlichkeit hergestellt, treten regelmäßig politische Akteure auf den Plan, die ihrerseits etikettieren und Fehler ggf. nach den Regeln des politischen Feldes nutzen.

Der Workshop geht der Frage nach, welche formalen und informalen Praktiken die Be- und Verarbeitung von Fehlern beeinflussen und wie unter diesen Bedingungen aus Fehlern gelernt werden kann. Dabei soll die Wirkung der Öffentlichkeit auf polizeiliche Fehlerverarbeitung besonders im Fokus stehen.

Prof. Dr. Anja Mensching (Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Campus Suderburg)

In Organisationen – insbesondere auch der Organisation Polizei – werden ungewohnte, von üblichen Routinen abweichende Entscheidungen und nicht erwartete Verhaltensweisen oftmals als Fehler beschrieben und damit problematisiert. Schnell werden dann organisationsinterne Forderungen nach einer ‚neuen Fehlerkultur’ erhoben – zumeist von vorgesetzten Stellen gegenüber jenen Organisationseinheiten, denen Fehler zugeordnet wurden. Häufig wird dabei Führung eingefordert und ebenso häufig wird die Lösung des Problems in der Aus- und Fortbildung gesucht.

Dabei wird übersehen, dass die Polizei (ebenso wie andere Organisationen) eigene formelle und informelle Bedingungen für die Wahrnehmung von und den Umgang mit Fehlern schafft, die von den in den Organisationskulturen verankerten Praktiken geprägt und deshalb einer direkten Einwirkung durch Führung und Management nicht zugänglich sind.

Der Workshop will anhand empirischer Beispiele ausgewählte formale und informelle Aspekte der Organisation Polizei analysieren und dabei reflektieren, welche organisationalen Bedingungen einen konstruktiven Umgang mit Fehlern in der Organisation eher ermöglichen bzw. verhindern können.