Am 5. und 6. März 2018 fand die zweite Arbeitstagung zur Fehlerkultur in der Polizei an der Deutschen Hochschule der Polizei statt. Im Rahmen dieser Arbeitstagung wurden innerhalb von vier Workshops vier Themenfelder diskutiert, die im Folgenden kurz, in Anlehnung an die im Workshop erstellten Protokolle, dargestellt werden.
„Vor dem Fehler: Entstehung und Eskalation von Gewalt in der Polizei-Bürger-Interaktion“
Workshop 1
Im dem von Thomas Hoebel geleiteten Workshop ging es darum, wie sich gewaltsame Interaktionen zwischen Polizei und Bürgern entwickeln und welche Konsequenzen diese haben. Hierbei wird von einem ganzheitlichen Verständnis von Interaktion ausgegangen, das sich sowohl auf verbale, als auch nonverbale Handlungen sowie sinnliche Wahrnehmungen bezieht. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive werden vor allem Situationsverläufe und emotionale Dynamiken bei gewaltförmigen Interaktionen betrachtet und explizit auf eine Vorverurteilung bzw. Bewertung während der Analyse verzichtet. Als typische Konfrontationssituationen der Polizei-Bürger-Interaktion gelten Streifengänge, Festnahmen, Großveranstaltungen, Demonstrationen und Protestveranstaltungen, Notrufe und Rettungseinsätze. In Bezug auf Deeskalationsstrategien werden im Workshop insbesondere die Aspekte der emotionalen Dominanz und Demonstration von Stärke hervorgehoben, dennoch sollten diese Konzepte lediglich als Erklärungsansätze dienen und keinesfalls die individuelle Betrachtung von Situationen ersetzen. Der Workshop kommt nach dem ersten Tag zu dem Ergebnis, dass innerhalb der Polizei eine Kultur etabliert werden sollte, die zum einen nicht im Nachhinein versucht, Sachverhalte beschönigt darzustellen und zum anderen darauf ausgelegt ist, vor Ort Gewalt zu unterbinden bzw. einzuschreiten. Allerdings sei zu bedenken, dass es sich schwierig gestaltet, eine allgemeingültige Aussage über die richtige Handhabung mit Fehlern zu treffen, da die Auslegung von Fehlverhalten an Personen und Betrachtungsweisen gebunden sei. Folglich könne die Erkenntnis, dass die Dinge nicht immer vollständig beherrschbar sind die Chance bieten, den Umgang mit bestimmten Situationen zu fokussieren und zu verbessern.
Am zweiten Tag des Workshops wurden die zentralen Fragen der Teilnehmenden zu Gewalt in Polizei-Bürger-Interaktionen beantwortet und eine Ergebnissicherung angestrebt. Eine von den Teilnehmenden wahrgenommene Zunahme von Gewalt in unserer Gesellschaft lässt sich wissenschaftlich nicht belegen, jedoch hätten sich die Formen der Gewalt in den letzten Jahren verändert. Dies habe erheblichen Einfluss auf Einsätze sowie Einsatztrainings der Polizei. Ein Trigger für gewalttätige Handlungen kann sowohl bei Polizisten, als auch Bürgern aus Kränkungen und einem empfundenen Autoritätsverlust resultieren. Im Sinne einer Transaktionsanalyse sollte dementsprechend möglichst ein verbaler sowie nonverbaler Umgang auf Augenhöhe mit Bürgern angestrebt werden. Zudem würden während gewaltträchtiger Interaktion insbesondere psychologische Konzepte, wie der sogenannte „Tunnel der Gewalt“ eine Rolle spielen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine völlige Selbstkontrolle in bestimmten Situationen nicht möglich sei, da eine automatische Fokussierung stattfinde, die andere Eindrücke ausblende. Diese Involviertheit führe entsprechend zu sehr eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten und könne meist erst nachträglich reflexiv betrachtet und unter Umständen als Fehler deklariert werden. Zur Situationsanalyse gewaltträchtiger Interaktionen dienen die 5 Schlüsselkonzepte: Konfrontationsanspannung (Involviertheit der Beteiligten), Mikro-Timing (es passiert schnell etwas, welche Trigger führen zu schneller Eskalation), emotionale Dominanz (wer dominiert Situation emotional?), Situationskontrolle (wann mache ich mich verletzlich?), Accounts („praktische Erklärungen“). Insgesamt wurde im Workshop festgehalten, dass es immer eine Person oder Institution benötigt, um etwas als Fehler zu bezeichnen bzw. wahrzunehmen. Das Ergebnis einer Prüfung von Fehlern kann, neben einer strafrechtlich „objektivierten“ bzw. „institutionalisierten“ Einschätzung, sehr unterschiedlich ausfallen (Fremd-/Selbsteinschätzung). Des Weiteren gibt es sowohl eine individuelle, als eine institutionelle und formale Handlungsebene sowie Nachbereitungsebene, in die Fehler einbettet sind. Mögliche Chancen, die sich durch den Umgang mit Fehlern ergeben können, sind eine lernende Organisation, eine konstruktive Einsatznachbereitung, angepasste Einsatztrainings sowie die Etablierung einer standardisierten Supervision (Organisationsanalysen). Eine Anforderung an Führung sei es, sich dabei von einer Stigmatisierung und negativen Konnotation von Fehlern zu lösen.
„Strafrechtlich relevantes Fehlverhalten: Interne Ermittlungen“
Workshop 2
In dem von Prof. Tobias Singelnstein und Eric Töpfer geleiteten Workshop wurde festgestellt, dass das Thema interne Ermittlungen ein sehr breit gefächertes ist, bei dem immer zwischen Straftat und Körperverletzung im Amt unterschieden werden sollte.
Weiter wurde festgestellt, dass die internen Ermittlungen heutzutage vielerorts Alltag geworden sind, was auch dazu führt, dass die Akzeptanz ihr gegenüber steigt (auch wenn an einigen Stellen noch Skepsis herrscht). Um die internen Ermittlungen weiter zu fördern, muss ihr gegenüber jedoch eine Grundeinstellung entstehen, in der es selbstverständlich ist, dass das Handeln überprüft wird. Wichtig sind hier besonders Kommunikation und die dadurch entstehende Transparenz. Erst wenn eine Kultur innerhalb der Polizei entsteht, die die interne Ermittlung nicht nur akzeptiert, sondern auch fördert, kann eine angenehme Arbeitsatmosphäre für Ermittler als auch für Beteiligte entstehen.
Die Personalgewinnung für die internen Ermittlungen deutet hier auf eine vielversprechende Situation. So sehen viele Polizeibeamte die Abteilung als Chance und Herausforderung. Ein anderer diskutierter wichtiger und im Zusammenhang mit der Personalgewinnung stehender Punkt ist das Miteinbeziehen von Laien. Laien können Polizeibeamten dabei helfen, sich von eventuellen fixierten Denkmustern zu lösen.
Zudem müssen für erfolgreiche interne Ermittlungen gesellschaftliche Veränderungen miteinkalkuliert werden. So erschweren die allgegenwärtigen Smartphones beispielsweise durch ihre fortwährenden Aufnahmen, die meist nur einen Teil des Geschehens zeigen, die Ermittlungen. Hinzu kommt die Entwicklung hin zu einer gewaltfreien und gewaltablehnenden Erziehung der Kinder. Die zunehmende Ablehnung von Gewalt betrifft auch die Gewaltausübung von Seiten des Staates und vergrößert das Problem für die internen Ermittlungen. Denn mit der tiefergehenden Ablehnung von Gewalt steigt auch die Tendenz der Polizeikritik im Zusammenhang mit den eingesetzten Maßnahmen und Methoden.
Dennoch muss auf die Kritik gegenüber der Polizei eingegangen werden. Dies geschieht im Rahmen institutionalisierter Beschwerdestellen. Für den Fall, dass Beschwerden zu Verfahren führen, sollten diese transparent für die Öffentlichkeit bearbeitet werden.
„Nach dem Fehler: Die Verarbeitung von Fehlern und ihre Bedingungen in polizeilichen Organisationen“
Workshop 3
Am ersten Tag des von Dr. Carsten Dübbers geleiteten Workshops wurde am Beispiel der Kölner Silvesternacht 2016 eine Fehlernachbearbeitung anhand der drei Seiten (formales Seite, informale Seite, Schauseite) einer Organisation nach Prof. Stefan Kühl durchgeführt. Diese zeigte, dass es Fehler bei dem Einsatz gegeben hat. Zum einen wird das Absetzen des „Nafris“-Tweets als Fehler eingestuft, andererseits werden Mängel bei der internen wie externen Kommunikation festgestellt.
Die Arbeit am Beispiel der Kölner Silvesternacht 2016 vom ersten Workshoptag und die tatsächliche Fehlernachbearbeitung der Kölner Polizei haben gezeigt, dass der Blick von „außen“ auf die Organisation Polizei im Stande ist, das Fehlermanagement zu verbessern. Die Zusammenarbeit mit Experten aus verschiedenen Bereichen eröffnete im empirischen Fallbeispiel den Blick auf neue Herangehensweisen und Lösungswege.
Daneben zeigte sich bei der Betrachtung und Diskussion diverser alltäglicher Fallbeispiele, dass die Struktur der Organisation Polizei dem Fehlermanagement enge Grenzen setzt. Vor allem das Disziplinar- und das Regressrecht behindern eine Verbesserung der Fehlerkultur. Andererseits wurden innerhalb des Workshops Gegenmaßnahmen entwickelt, die etwaige Hinderungsgründe einer besseren Fehlerkultur bei der Polizei auf den drei bekannten Seiten zu beseitigen vermögen. Während an gesetzlichen Regelungen schwer zu rütteln sei, können interne Maßnahmen wie das Anonymisieren von Fehlermeldungen und ein interner offener Umgang mit Fehlern, vorgelebt von Führungskräften, bei der Erreichung des Ziels behilflich sein.
„Perspektiven: Organisationskulturelle Routinen erkennen, um einen konstruktiven Umgang mit ‚Fehlern‘ zu entwickeln“
Workshop 4
Am ersten Tag des von Prof Anja Mensching geleiteten Workshops wird die Bedeutung von Organisationskultur als komplexer, informeller Seite der Organisation hervorgehoben, die potentiell alle ihre Praktiken und Prozesse beeinflussen kann. Vor allem beeinflusst sie die Vergabe von Fehleretiketten, die immer mehrdeutig sind. Fehler werden als „Chance, wieder neu nachdenken zu dürfen“ charakterisiert und die Möglichkeit der Lernerfahrung betont. Neben formalen Anreizen wird die Notwendigkeit der Irritation und Initiation von Praktiken innerhalb der Organisationskultur betont. Die Beobachtung und Analyse organisationskultureller Praktiken ist daher relevant für die Gestaltung der Fehlerkultur. Erst der Nachvollzug ihrer Sinnzuschreibungen und Funktionen mache zielgerichtete Interventionen erfolgsversprechend. Am Beispiel formeller (Beschwerdestellen, politische Befassung) und informeller Aspekte (Mikropolitik, Informale Regeln) werden einerseits Einflüsse auf die Fehlerkultur diskutiert, andererseits wie diese Aspekte beeinflusst werden können. In der Behandlung der Aspekte sind ihre Ambivalenzen sichtbar geworden. Sie können also sowohl hilfreich, als auch schädlich für die Entwicklung einer konstruktiven, lernorientierten Fehlerkultur sein.
Am zweiten Tag des Workshops wurden auf der Grundlage einer „wilden“ Ideensammlung (Lernen und Vergessen) Veränderungsmöglichkeiten der Fehlerkultur von destruktiv zu konstruktiv diskutiert. Statt destruktiver Diskurskultur müsste ein professionelles Arbeitsverständnis herrschen und durch das Entwickeln einer Lobkultur eine konstruktive Fehlerkultur initiiert werden, in der positive Erfahrungen negative überschreiben. Das Selbstbild einer „unfehlbaren Polizei“ wird als fragil thematisiert. Stattdessen sollten selbstreflexiv Leistungsgrenzen angesprochen werden. Der Umgang mit Fehlern unter Augen externer Öffentlichkeit wird als Herausforderung besprochen. Im Umgang mit Medien sind schnelle eigene Setzungen bei Ungewissheit gefährlich. Stattdessen könnte die Konfrontation mit der Komplexität von Entscheidungen das Reduzieren auf „leichte Antworten“ für die Medien schwierig machen. Die These wird diskutiert, dass das Vertrauen in die Polizei steige, je offener die eigenen Leistungsgrenzen kommuniziert würden. Postheroisches Führungsverständnis wird in seiner Bedeutung herausgestellt, selbst und anhand des hierarchischen Einflusses in der Organisation selbstreflexiv mit Fehlern umzugehen und Lernchancen zu betonen. Festzuhalten ist, dass die Polizei bereits eine Fehlerkultur besitzt, die sich zu einer konstruktiven Fehlerkultur entwickeln lässt. Dies könne nicht nur über formale Anreize geschehen, sondern erfordert auch organisationskulturelle Anreize. Dafür müssen Organisation und Führung auf Basis echter Freiwilligkeit kooperieren.