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Miriam Felske (Polizeikommissarin in NRW und Studentin des Masterstudienganges „Kriminologie und Polizeiwissenschaft“ an der Ruhr-Universität Bochum)
Im Rahmen der Fertigung meiner Masterarbeit, in der ich mich mit der Frage „Welchen Beitrag das Sicherheitsprogramm zu erfolgreichen Polizeiarbeit leistet“ beschäftige, bin ich auf den Entwurf der Neuformulierung des Kooperativen Führungssystems gestoßen. Mit Interesse habe ich den Aufsatz von den Autoren Barthel und Heidemann gelesen, da ich zu der Erkenntnis gekommen bin, dass Steuerungsinstrumente ohne eine kontrollierte Führung nicht die gewünschte Wirkung entfalten können.
Zunächst kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung berichten, dass mir das Kooperative Führungssystem von Altmann und Berndt im Rahmen meiner Ausbildung gelehrt wurde. Im Zusammenhang mit meinen Erfahrungen im Alltag als Polizeibeamtin im Streifendienst spielte es jedoch eher eine untergeordnete Rolle. Das Kooperative Führungssystem ist vermutlich Jedem ein Begriff, der im Zusammenhang mit der Verankerung im Programm Innere Sicherheit der IMK und der Polizeidienstvorschrift 100 gebracht wird. Doch inwiefern wird das Führungssystem gelebt und als Handlungsorientierung genutzt? Welche Behörden haben dieses System fest in ihrer Alltagsorganisation verankert? Findet eine kritische Reflexion dahingehend statt? So frage ich mich, ob „das Kooperative Führungssystem (ob alt oder neu) Programmformel und gültiger Wertehorizont aller Fragestellungen rund um das Thema Führung“ (S. 1) im Alltag von Polizeibehörden ist/sein kann.
Das KFS ist zwar institutionell, formal und im allgemeinen Sprachgebrauch von Führungskräften verankert, so fehlt es jedoch an der operativen Umsetzung. (Vgl. S. 2) Aus dem Text geht meiner Meinung nach nicht hervor, wie die Autoren die Theorie des weiter entwickelten Konzeptes tatsächlich in die Praxis transferieren wollen, um so eine Identifikation und Etablierung im operativen Bereich zu erreichen. Reicht dahingehend „eine engagierte Führungs-Lehre in den Aus- und Fortbildungseinrichtungen der Polizei“ aus? (Vgl. S. 2) Wurde es nicht genau so bei dem Konzept von Altmann und Berndt getan? Der Satz „Shift from Teaching to Learning“ (S. 3) trifft es meiner Meinung nach besser. Dieser Satz wird auch den individuellen Kompetenzen (Stärken und Schwächen) einzelner Personen (mit ihren Erfahrungen und Vorgeschichten) eher gerecht. Denn ein Universalrezept oder eine „Zauberformel“, welche für jede Führungskraft geschaffen ist, gibt es tatsächlich nicht. Der Mensch zeichnet sich nun mal durch sein individuelles Wesen, ob Führungskraft oder nicht, aus.
Aber wer entscheidet denn eigentlich, ob Jemand eine gute Führungskraft ist? Wäre es nicht sinnvoll an dem Prozess der Entwicklung eines neuen Konzeptes oder auch an der Neuformulierung des KFS gerade die Mitarbeiter zu befragen, welche geführt werden. So finde ich das Instrument des Führungsfeedbacks (oder Jahresgespräch, welches vom LAFP NRW entwickelt wurde) in diesem Zusammenhang sehr interessant. Aber die Anwendung eines solchen Instrumentes macht natürlich nur dann Sinn, wenn eine gemeinsame Grundlage geschaffen wurde. Dies versuchen Barthel und Heidemann mit ihrem Entwurf, der in vielerlei Hinsicht interessante und wichtige Aspekte aufgreift und sich den neuen und ständig verändernden Gegebenheiten anpassen möchte.
Entscheidendes Handlungsfeld ist meiner Einschätzung nach in dem neuen Entwurf die Kommunikation im Bereich der Informationsweitergabe, aber auch im Bereich von sozialen Faktoren (Wertschätzung, Kritikfähigkeit, Motivation etc.). Beim Lesen des Textes im Zusammenhang mit den vier Handlungsfeldern (Vgl. S. 9ff.) kam bei mir die Frage auf, ob Kommunikation nicht die Basis für die anderen drei Handlungsfelder ist?
Abschließen möchte ich festhalten, dass meiner Meinung nach gerade die Einführung von Theorien in die Praxis besondere Aufmerksamkeit benötigt und nur in Form eines Dialoges ausreichend Akzeptanz erhalten kann.
Lothar Berger 29.10.13 @ 22:12
“Abschließen möchte ich festhalten, dass meiner Meinung nach gerade die Einführung von Theorien in die Praxis besondere Aufmerksamkeit benötigt und nur in Form eines Dialoges ausreichend Akzeptanz erhalten kann.”
Dieser Satz der Kollegin Felske hat mir sehr zu denken gegeben, weil er einerseits das Problem mit Führungskonzepten in der Polizei gut beschreibt und andererseits das Paraxode am aktuellen Umgang mit dem Thema in konzentrierter Form offenbart.
Zu meiner ursprünglichen Ausbildung als Diplom-Physiker gehörte neben gründlichen Kenntnissen in höherer Mathematik auch klares Denken. Die Physik hat sich im Gegensatz zur so genannten “Polizeiwissenschaft” schon vor über 100 Jahren vom mechanischen Weltverständnis verabschieden müssen und über Quantenphysik und Chaostheorie zu einem neuen, wesentlich demütigeren Weltbild gefunden. Dort gilt noch immer, dass Theorien lediglich Annahmen sind, die sich in der Praxis bestätigen müssen – nicht umgekehrt. Und dort gilt auch, dass viele Prozesse der Natur sich nur mit gewisser Wahrscheinlichkeit beschreiben und steuern lassen. Diese Bescheidenheit gegenüber den Prozessen des Lebens stünde auch Führungskräften in der Polizei gut zu Gesicht – vor allem solchen, die Führung im Großen gestalten wollen.
Was sich nach meiner Beobachtung zurzeit in der Polizei zeigt, ist eine fatale Hinwendung vom Vollzug zur Verwaltung. Verwaltungen kann man nämlich immer noch weitgehend gestalten, wie Maschinen, Abläufe mit Dienstvorschriften steuern, Strafanzeigen am Fließband einstellen und Statistiken generieren, bis zum Abwinken.
Vollzug aber wird immer mit den Unwägbarkeiten des Lebens zu kämpfen haben und hier sind Konzepte zwar notwendig, aber nicht hinreichend, weil man im entscheidenden Moment den Mut haben muss, es auch ganz anders zu machen, als üblicherweise oder vorgeschrieben und dafür auch noch die Verantwortung übernehmen. Darum brauchen wir keine gigantischen, komplexen, hochtrabend formulierten Theorien, die in die Praxis eingefürt werden sollen. Wir brauchen der Praxis abgeschaute, erfolgreiche, möglichst einfache und klare Führungskonzepte, die verallgemeinert und so aufgearbeitet werden, dass sie den noch Unerfahrenen nutzen. Wir brauchen vor allem die Möglichkeit, Erfahrung sammeln zu können und sie zu transferieren. Wo sind die “Bärenführer” von früher? Wer versteht noch, dass es an vielen Stellen in der Polizei nicht ausreicht, eine Ausbildung zu machen, um qualifiziertes Personal zu haben, sondern jahrelange Erfahrung dafür notwendig ist?
Mir hängen die Führungskonzepte zu sehr an politischen Strömungen. Modern ist ja gerade die Polizei als “Dienstleister des Bürgers”, mit allen damit herauf beschworenen Problemen. Autoritätes Führen ist dagegen aktuell bähhh…, dabei kann es im entscheidenden Moment Leben retten. Im Extrapol hilft eine Veröffentlichung zum situativen Führen; die scheint mir von allem am brauchbarsten zu sein, weil sie offensichtlich aus der Praxis erwuchs und relativ leicht verständlich und umsetzbar ist. Ansonsten ist Führen praktische Lebenserfahrung und schließlich Weisheit, die Quellen jenseits der Wissenschaftlichkeit entstammt. Hier stünden wir dann tatsächlich an der Schwelle zu höherer Führung, die allerdings ein völlig anderes Verständnis vom Leben erfordert, als die gängigen “polizeiwissenschaftlichen”, rein mentalen Konzepte überhaupt in Sichtweite haben, von denen es inzwischen mehr gibt, als Bäume im Wald.
Man meditiere statt dessen zu Themen wie Macht/Demut oder Metaphysik des Scheiterns, was grundlegende Veränderungen im Entscheidungsverhalten nach sich ziehen wird.
In Brandenburg gibt es ein Führungskräftetrainig, das sich an der Praxis orientiert und Werkzeuge anbietet, um in verschiedenen Situationen zu Lösungen zu gelangen. Und es gibt die Möglichkeit, Erfahrungen darüber auszutauschen, denn:
„Ein Gramm Praxis wiegt mehr als eine Tonne Theorie.“
John Dewey (1859 – 1952), US-amerikanischer Philosoph und Pädagoge