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Günther Heemann (Leiter des Arbeitskreises Wasserschutzpolizei in der DGfPG e.V)
Das KFS ist offensichtlich von den Autoren intensiv und umfassend hinsichtlich seiner Inhalte und Wirkungen analysiert worden. Dabei sind die vorgeschlagene Weiterentwicklung der wesentlichen Grundsätze des KFS und seine Anpassung an die organisatorische und soziale Entwicklung der Polizei zum KFS 2.0 überzeugend. Insbesondere die neu formulierten Handlungsfelder und der bildlich dargestellte Lern- und Professionalisierungsprozess im Rahmen des KFS 2.0 lassen eine erfolgreiche Umsetzung erhoffen.
Bei der Analyse des KFS sollte an die Wurzel seiner Entstehung und zeitlich noch davor begonnen werden. Sie muss tiefgreifend und umfassend geschehen und dabei das gesamte Umfeld, die Struktur beleuchten, um eine tragfähige, langfristige Therapie erstellen zu können. Für die erforderliche Prognose des KFS 2.0 sind die Struktur, die Alltagssituation, die Aufbau- und Ablauforganisation sowie die Mitarbeiter/innen und Polizeiführer in den verschiedenen Funktionen zu berücksichtigen. Ihre Bildung, Ausbildung sowie ihre grundsätzliche und polizeiliche Sozialisation mit dem sozialen und organisatorischen Umfeld müssen in die Analyse einbezogen werden, wie ich anhand meiner eigenen Erlebnisse kurz darstellen möchte.
Nach dem Studium an der PFA Hiltrup 1981 und der intensiven Ausbildung im KFS war ich überzeugt von den Grundsätzen und Zielen des KFS. Überzeugt, damit alle sozialen Beziehungen von der Zweierbeziehung bis zu den Beziehungen in einer Organisation erfolgreich führen und ausführen zu können, kehrte ich in die alltägliche Praxis zurück. Schon nach kurzer Zeit musste ich erkennen, dass das System nur in einer vorbildlichen und von Gewalt und Angst freien Umgebung mit Menschen, die in einer solchen Umgebung sozialisiert worden waren, tatsächlich funktionieren konnte. Ein Blick in die Geschichte der Polizei sowie die gesellschaftliche Entwicklung machte klar, dass es solche Verhältnisse bisher nicht gegeben hatte und wegen der menschlichen Unzulänglichkeit nicht geben wird. Dennoch war der geschichtliche Rückblick in die Polizei, andere Organisationen und Unternehmen sowie die benachbarten Staaten und andere Kulturen sehr lehr- und hilfreich für das Finden neuer Ansätze. Das ist auch für eine an wissenschaftlicher Forschung und Lehre orientierte Hochschule der Polizei empfehlenswert. Denn es gibt nichts Neues unter der Sonne, außer auf einer anderen kulturellen oder technischen Ebene. Im preußischen Militär wurden beispielsweise bestimmte Offiziere durch die Unterführer/Soldaten selbst gewählt. Für eine moderne, zeitgemäße, fortschrittliche, professionelle Polizei zu weit (in die Vergangenheit) gedacht?
Nach meiner Rückkehr in die Praxis als Polizeiführer und Geführter musste ich feststellen, dass in der eigenen, übergeordneten und benachbarten Organisation auf allen Ebenen und bei vielen Vorgesetzten und Mitarbeiter/innen die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Vorstellungen vom KFS bestanden. Die meisten waren, je nach ihrer grundsätzlichen und polizeilichen Sozialisation an ganz persönlichen Vorteilen orientiert oder durch Unkenntnis geprägt. Wenige nur an den Zielen der Organisation oder dem Gemeinwohl, dem die Polizei verpflichtet war und ist.
Für die Organisation bestanden allgemeine und grundsätzliche Beschreibungen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeiten sowie gesetzliche und untergesetzliche Vorschriften. Die in einer ausgeprägten Hierarchie tätigen Führungskräfte und Mitarbeiter konnten sich an keiner klaren Aufgabenbeschreibung orientieren, ausgenommen die Putzfrau, die einen detaillierten Arbeitsvertrag hatte, aus dem hervorging was sie wann, wo und wie zu reinigen hatte. Da keine klaren Aufgaben-, Tätigkeits- oder Funktionsbeschreibungen für Exekutivbeamte bestanden, im Gegensatz zu Angestellten und Arbeitern, konnte sich auch kein Rollenverständnis bei Führungspersonen und den Mitarbeitern/innen entwickeln. Unterschiedliche Rollenverständnisse waren auch durch unterschiedliche Menschenbilder geprägt, die nicht immer von der verfassungsgemäßen ethischen Grundlage der Menschenwürde abgeleitet waren. Es fehlte eine vergleichbare Aus- und Fortbildung aller Vorgesetzten und Mitarbeiter/innen der Organisation im KFS.
Es fehlte bei einigen die Fähigkeit und bei anderen der Wille, nach den Grundsätzen und Zielen des KFS zu führen und sich führen zu lassen. Es fehlten die glaubwürdigen Vorbilder. Die Kultur in der Polizei war nicht daran ausgerichtet, zumal es drei unterschiedliche Kulturen in der Polizeiorganisation gab und gibt. Die von den Politikern (parteipolitisch) vertretene Polizeikultur, die offizielle von den Führungs- und Leitungskräften vertretene und die alltägliche von Streifenbeamten/innen zur Problem- und Konfliktlösung entwickelte und an allgemeiner Übereinstimmung orientierte Polizeikultur. Darüber täuschte auch kein Leitbild hinweg, das überall erarbeitet und propagiert wurde. Es fehlte auch an konkreten, gemeinsamen, nicht manipulierbaren Zielen, an denen man den gemeinsamen Erfolg messen konnte.
Erst aus Dienstanweisungen und internen Geschäftsverteilungsplänen, soweit sie bestanden und bekannt waren, sowie die alle Dienstanweisungen aufhebenden Grundsätze über die Führung- und Zusammenarbeit in der Polizei Niedersachsen boten erste Möglichkeiten, gegenseitiges Aufgaben- und Funktionsverständnis abzuleiten, soweit sie in der Praxis akzeptiert und angewendet wurden. Die später organisationsspezifisch entwickelten Aufgabenbeschreibungen sowie die daraus entwickelten Dienstpostenbeschreibungen mit Kompetenzen und Verantwortungen für alle Funktionen vom Leiter/in der Organisation bis zum Streifenbeamten/in zur Ausschreibung neu zu besetzender Funktionen brachte erste Einsichten in die Aufgaben aller Beschäftigten der Organisation. Tätigkeitsbeschreibungen im Rahmen neuer Beurteilungsverfahren mit Leistungs- und Befähigungsmerkmalen sowie Gewichtung und Bewertung ermöglichten, dass bei allen das Rollenverständnis für die eigene und die Rolle aller anderen entstand und wuchs. Nicht alle Beschäftigten ließen sich von den transparenten Dienstposten- und Tätigkeitsbeschreibungen von ihren (Vor)Urteilen gegenüber Vorgesetzten und Mitarbeitern beeinflussen. Mit der für alle Funktionen auf örtlicher Ebene entwickelten transparenten Personalentwicklungskonzeption wurde dieses Verständnis vertieft und weitgehend akzeptiert. Erste Schritte zur Organisationsentwicklung beendete die neu eingerichtete Polizeibehörde. Auch die Personalentwicklung und die Beurteilung von Funktionsinhabern und Vorgesetzten wurden auf die Ebene der Behörde gehoben, da sie angeblich nur so effektiv gestaltet werden konnten. Damit wurden unterschiedlichste Dienstposteninhaber des gleichen statusrechtlichen Amtes teils landesweit miteinander verglichen. Die höher bewerteten Dienstposten wurden nicht mehr nach Fachkompetenz, sondern nach Personalentwicklung besetzt. Die Fachkompetenz wurde durch die persönliche, soziale und somit Führungskompetenz ersetzt, die es jedem ermöglichte, zumindest im höheren Dienst aber auch zunehmend im gehobenen Dienst, jeden höherwertigen Dienstposten zu besetzen. Entscheidend war für viele herausgehobenen Dienstposten die Verwendungsbreite nach Dienststellen- und Dienstpostenhopping und entsprechender Beurteilung der Kurzzeitverwendung. Wie Beurteilungen entstehen, wissen wir seit unserer Schulzeit. Wie soll bei einer solchen kurzatmigen Personal- und Führungskräfteentwicklung die Alltagsorganisation beobachtet, verstanden und auf ihre aktuelle Entwicklungskapazität überprüft werden? Wie soll der Prozess der systematischen Wahrnehmung und des sich
langsamen und beharrlichen Hineinarbeitens in die Alltagsorganisation geschehen, zumal der/die neue Stelleninhaber/in nicht in der Organisation aufgestiegen ist und er/sie nach der Besetzung eines Dienstpostens schon die Planung zur Erreichung der nächsten höherwertigen Stelle beginnen muss?
Entgegen dem Verfahren der Besetzung von Führungsdienstposten wurden die Nachwuchskräfte heimatnah ausgewählt, ausgebildet und nach der Ausbildung eingesetzt. Die damit zusammenhängenden, voraussehbaren Probleme, seinen Spielkameraden, Schulkameraden, Vereinskumpels und Jugendsünden beim täglichen Polizeieinsatz begegnen zu können und zu müssen, wurden ignoriert. Fach- und persönliche Kompetenz sollten die Amtsautorität ersetzen. Konflikte zwischen der offiziellen und inoffiziellen Kultur der Polizei, zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter/innen waren vorprogrammiert.
Neue betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente sollten für erfolgreiches Handeln sorgen. Kennzahlen bestimmten das Handeln und beeinflussten die Einstellung jedes Einzelnen zu seiner Aufgabe. Viel Engagement wurde in die Aufbereitung der Kennzahlen investiert, damit sie den (vorgespiegelten) Erfolg darstellen konnten. Das systematische Qualitätsmanagements mit den Systemelementen Mitbürger, Organisation, Mitarbeiter und Finanzen in einem Regelkreis ist auch durch die Beurteilung der Lage zu erreichen. Voraussetzung ist eine andauernde, umfassende Beurteilung der polizeilichen Lage entsprechend der eigenen Aufgaben und Funktion in einer Organisation. Aufgabe der Führungskraft ist die Besprechung dieser Lagebeurteilung mit allen beteiligten Mitarbeitern/innen und die Aufforderung, eigene Wertungen und Einschätzungen beizutragen, Problemfelder zu erkennen sowie an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten. Erst wenn alle in der Lage leben, sie weitgehend gleich beurteilen und zu gleichen Lösungsansätzen kommen, ist die Übereinstimmung von offizieller und inoffizieller Kultur erreicht.
Warum war das KFS damals und ist es immer noch nicht so erfolgreich, wie es sich die Autoren und viele Anwender wünschen?
Voraussetzung ist wohl die gleiche Ausbildung, gleiche Sprache, das gleiche Verständnis von Führern und Geführten, zumal jeder Führer in der Regel gleichzeitig wiederum Geführter in einer organisierten sozialen Struktur ist. Das KFS 2.0 muss klar, unmissverständlich und für alle akzeptabel formuliert und die verwendeten Begriffe definiert sein.
Die Anwendung der Grundsätze der KFS 2.0 in der gesamten Organisation muss auf allen Ebenen praktiziert, verinnerlicht, gelebt werden, bei der Polizei vom Polizeipräsidenten bis zum Streifenbeamten. Es muss Teil der selbstverständlichen Organisations-, Polizeikultur sein. Es muss geübt werden, bis es zur Gewohnheit wird. Damit kann die kulturelle Trennung zwischen Führern und Geführten aufgehoben und zu einer gemeinsamen Polizeikultur entwickelt werden. Das Umfeld, die organisatorischen, sozialen, fachlichen und strukturellen Voraussetzung für das KFS 2.0 müssen definiert werden, damit das KFS 2.0 seine Wirkung entfalten kann.
Jede Führungsphilosophie, -theorie, -konzeption, Handlungsanleitung ist immer nur so erfolgreich und gut, wie die Menschen, die es anwenden. Da die zweite Seite des KFS 2.0 nach dem organisatorischen Umfeld die Führungskräfte und die Menschen in der Organisation sind, muss das KFS 2.0 auch klare Anforderungen an das Anforderungsprofil der Führungskräfte und der Mitarbeiter/innen formulieren. Damit können bei der Einstellung von Beamten und Tarifpersonal sowie bei der Auswahl von Führungskräften bereits diese wesentlichen Anforderungen berücksichtigt werden.
Wie soll eine Führungskraft, die mit 30 Jahren die Ausbildung zum höheren Dienst abgeschlossen hat und mit 45 Jahren Leitender Polizeidirektor oder mit 55 Jahren Polizeipräsident ist, bis zum Ende ihrer Dienstzeit (65 oder 67 Jahre) zum lebenslangen Lernen und zur fortdauernden Professionalisierung im KFS 2.0 motiviert werden, um Meister zu werden? Wie soll, im Gegensatz dazu, der/die 55jährige Polizeioberkommissar/in motiviert werden, der/die fachlich und persönlich hoch kompetent seine/ihre Arbeit verrichtet, aber keine Aussicht hat, zum Polizeihauptkommissar befördert zu werden, da das knappe Geld anders verteilt und seine/ihre Stelle nur mit A 10 bewertet wurde? Er/Sie hatte aus fachlichen, persönlichen oder familiären Gründen seinen/ihren Dienstposten, die Dienststelle oder Organisation und seinen/ihren Dienstort über Jahrzehnte nicht gewechselt, hat sich aber langsam und beharrlich in die Alltagsorganisation hineingearbeitet, hat sie beobachtet und verstanden und bestimmt wesentlich die Kultur in seinem/ihrem Umfeld mit, atmet sie wortwörtlich. Vielleicht sollte man ihm/ihr einen kostengünstigen Stern für lange, gute und preisgünstige Arbeit an die Uniform heften.
In diesem Spannungsfeld muss das KFS 2.0 bestehen können und akzeptiert werden.
Bennis und Nanus leiten aus einer Stichprobe von 90 Führungspersönlichkeiten folgende Fähigkeiten für eine Führungskraft ab:
Die Fähigkeit, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind
Die Fähigkeit, an Beziehungen und Problemen gegenwartsbezogen und nicht vergangenheitsbezogen heranzugehen
Menschen der engeren Umgebung genauso höflich und aufmerksam zu behandeln, wie Fremde oder flüchtige Bekannte
Die Fähigkeit, anderen zu vertrauen, selbst wenn das Risiko groß erscheint
Die Fähigkeit, ohne ständige Zustimmung und Anerkennung seitens anderer auszukommen
Führen und geführt werden ist soziale Realität in allen Lebens- und Beziehungsbereichen. Dabei sind immer Menschen mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten, Vorstellungen, Wünschen und Zielen beteiligt. Diese soziale Realität mit einem systematischen Ansatz erfolgreich gestalten zu wollen, kann nur mit Beteiligung und unter Berücksichtigung der Menschen und einem von ihnen akzeptierten Führungssystem erfolgen. Beim Aufbau und der Weiterentwicklung eines sozialen Systems ist der Konflikt zwischen Individuum und System der Normalzustand. Die Führungsqualität muss also darin bestehen, das gemeinsame und übergreifende Ziel so klar zu definieren, dass sich der Einzelne mit diesem Ziel identifizieren kann. Das Ziel muss allerdings der Eigenentwicklung ausreichend Spielraum lassen, damit das System den Grundkonflikt erträgt.
Das KFS 2.0 sollte neben den Grundsätzen und Zielen auch ein System von transparenten und angemessenen Kontrollen und Balancen enthalten. Durch Personalentwicklungsmaßnahmen muss abweichendes Verhalten korrigiert, begrenzt und im Extremfall angemessen sanktioniert werden. Ein Führer und ein Geführter, der das KFS 2.0 nicht anwenden will oder kann, muss einer anderen Aufgabe oder einer anderen Organisation zugeführt werden oder sich eine andere Aufgabe oder Organisation suchen.
Dem KFS 2.0 und seinen Entwicklern wünsche ich viel Erfolg und ein Umfeld, in dem das System seine Wirkung für die beteiligten Menschen und das Gemeinwohl entfalten kann.
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